«Probleme nicht vor sich herschieben»

«Probleme nicht vor sich herschieben»

Am 28. Februar kommt es zur Volksabstimmung über die zweite Gotthardröhre. Alt Ständerat Christoffel Brändli erklärt, warum man ja sagen sollte. 

1. Sanierung  unausweichlich

Die Notwendigkeit einer umfassenden Sanierung  des Gotthardtunnels  ist unbestritten. Über das wie scheiden sich die Geister: die einen sehen im Bau einer zweiten Röhre die gute Lösung, die andern wollen bei einer Gotthardröhre bleiben und während den deshalb nötigen Sperren Verkehrseinschränkungen in Kauf nehmen und einen Teil des Verkehrs  via Graubünden nach Süden umleiten. Gegen diese Mini-Lösung wehrt sich die Regierung des Kantons Graubünden, weil sie nicht nur die damit verbundenen Belastungen fürchtet  sondern insbesondere die Verkehrssicherheit auf der San Bernardinoroute gefährdet sieht.

2. Röhre nur einspurig befahren?

Hier sind die Fakten klar: der heutige Alpenschutzartikel verbietet die Erhöhung der Kapazitäten, deshalb dürfen die Kapazitäten nicht erhöht werden, das heisst, die beiden Gotthardröhren dürfen  nur einspurig befahren werden. Für eine allfällige normale Nutzung braucht es dazu einer zusätzlichen, positiven  Volksabstimmung. Diese ist allenfalls nach dem Jahr 2030, dem Abschluss der Gesamtsanierung, möglich. Heute darüber zu spekulieren, welche Bedürfnisse ab 2030 befriedigt werden sollen, ist wenig sinnvoll.  Wenn die Staus am Gotthard mit all den negativen Auswirkungen weiter zunehmen, werden sich zukünftige Genrationen nicht nehmen lassen, den Gotthard bedürfnisgerecht auszubauen und zu nutzen.

3. Mehr Lastwagenverkehr?

Wenn die Gegner der zweiten Gotthardröhre behaupten, der Lastwagenverkehr verdopple sich beim Bau einer zweiten Röhre, werden die rechtlichen Fakten einfach ausgeblendet. Es war SP-Verkehrsminister Leuenberger, der mit der EU  eine Maximalzahl für den Transit von Grenze zu Grenze und auch einen Tarif für die Verlagerung auf die Schiene mit der EU aushandelte. Aus Rücksicht zur EU, das Lieblingskind der Linken, pochte man bisher nicht darauf, die Vereinbarung durchzusetzen. Vielmehr haben sowohl Deutschland wie auch Italien wenig getan, um den Verlad der Lastwagen auf die Schiene zu gewährleisten. Auch die Zufahrten in Deutschland und Italien zur neuen Gotthardbahn wurde von diesen Ländern sträflich vernachlässigt. Die notwendige, erfolgreiche Verlagerung  des Güterverkehrs auf die Schiene ist nur möglich, wenn die EU-Staaten ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen. Die Schweiz hat hier einen Hebel, um den Lastwagenverkehr am Gotthard eigenständig zu beschränken, sie muss es nur tun. Die Behauptung der Gegner, der Lastwagenverkehr werde sich verdoppeln ist aus dieser Sicht eine Kapitulation vor der EU. Lieber Chaos im eigenen Land als Krach mit der EU, scheint das Motto dieser Kreise zu sein!

4. Sicherheit

Fakt ist, dass praktisch jährlich im Gotthardtunnel eine Person ihr Leben verliert. Der Gotthardtunnel hat bei einer internationalen Beurteilung nicht die besten Noten erhalten. Bei einer ähnlichen Beurteilung eines andern Stücks der Nationalstrasse würden wahrscheinlich sofort Sanierungsmassnahmen eingeleitet. Sind Tote am Gotthard weniger schlimm? Oesterreich hat es vorgemacht: Kritische Tunnels wurden aus Sicherheitsgründen erfolgreich  mit richtungsgetrennten Fahrspuren ausgebaut. Vor allem bei längeren Tunnels ist das Risiko von Fahrbahnen mit Gegenverkehr sehr gross. Sicherheitsgründe sprechen klar dafür, dass wir auch bei uns diesbezüglich endlich handeln.

5. Verhindern zu Gunsten der Agglomerationen?

Die Gegner machen geltend, dass mit dem Bau einer zweiten Röhre viel Geld gebunden werde, dass man in den Agglomerationen unseres Landes dringend für Verkehrssanierungen bräuchte. Einmal mehr kommt damit zum Ausdruck, dass Investitionen in Agglomerationen wichtiger sind als die Verkehrserschliessung peripherer Gebiete. Auch die optimale Anbindung des Tessins an die übrige Schweiz hat offensichtlich für viele agglomerationsorientierte Politiker keine grosse Bedeutung. Wir erleben es heute in drastischer Art und Weise, was es bedeutet, die Investitionen nur noch auf die Zentren unseres Landes zu konzentrieren und in den peripheren Gebieten alles zu verhindern, was mit Zukunftsperspektiven etwas zu tun hat. Es geht aus dieser Sicht bei der bevorstehenden Abstimmung für eine zweite Gotthardröhre um mehr als nur um die Solidarität mit dem Kanton Tessin. Es geht auch darum, der unsäglichen Verhinderungspolitik einiger Kreise endlich einen Riegel zu schieben.

Ob die Schweiz die Kraft hat, im Februar einen Verkehrsentscheid zu treffen, der für die kommenden Generationen von zentraler Bedeutung ist oder ob wir weiterhin ängstlich beim unbefriedigenden Ist-Zustand verbleiben werden, ist heute offener denn je.

45,5 Stunden dauerte der Dauerstau an Ostern 2015, dieser Rekord wird mit all den damit verbundenen negativen Auswirkungen in den nächsten Jahren sicher übertroffen werden. Auch schwere Unfälle werden sich wiederholen. Irgendwann wird man den notwendigen Schritt tun und auch die kurze Strecke durch den Gotthard auf eine vierspurige Autobahn ausbauen.  Es wäre wünschenswert, wenn dieser Ausbau nicht auf die lange Bank geschoben würde, sondern rasch in Angriff genommen wird. Probleme muss man lösen, nicht vor sich herschieben!

Christoffel Brändli, alt Ständerat

 

(Foto: Valentin Luthiger/EQ Images)

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Christoffel Brändli

Kolumnist Wirtschaft/Politik
Ehemaliger Regierungs- und Ständerat. Passionierter Golf-Spieler.