Schafft der HCD die Titelverteidigung?

Schafft der HCD die Titelverteidigung?

Der HC Davos beendete die Regular Season auf dem beachtlichen zweiten Platz. Beachtlich deshalb, weil Davos diese Saison bisher ein Mammutprogramm abspulte. 66 Ernstkämpfe haben die Landwassertaler seit Anfang September bestritten. Das ist eine Pace, die seinesgleichen in Europa sucht und ohne Probleme mit der NHL mithalten kann (da sind seit Oktober rund 60 Partien pro Team gespielt).

Die Staff um Arno del Curto ist sich der Extra-Aufgaben bewusst und hat daher auch seit Jahren eines der grössten Kader der gesamten National League A. Auch dieses Jahr spielten nicht weniger als 32 Spieler mindestens ein Spiel in Gelb-Blau – nur Fribourg-Gottéron und die Kloten Flyers setzten noch mehr verschiedene Spieler ein. Dank dieser Tiefe im Kader hat es der HCD geschafft, die Regular Season trotz der Strapazen mit Champions Hockey League und Spengler Cup zu überwinden und die Playoffs (bis auf einen allfälligen Final) mit Heimrecht beginnen zu dürfen.

Der HCD trifft in der ersten Runde auf die Kloten Flyers und würde erst im Finale auf den Regular Season Meister ZSC Lions treffen. Soviel steht fest. Ansonsten ist vieles offen, und die verschiedenen Serien versprechen Rivalry-ähnliche Stimmung:

Der EV Zug gegen den HC Lugano im Gotthard-Derby, Fribourg-Gottéron gegen Genf im welschen Derby, der SCB und die ZSC Lions im Städte-Infight, und die Kloten Flyers und der HCD als langjährige Playoff-Rivalen. Für Spannung ist auf jeden Fall gesorgt. Ob es dem HC Davos aber gelingen wird, den Titel zu verteidigen, bleibe dahingestellt. Leicht wird es auf jeden Fall nicht.

Davos, Eishockey NLA, HC Davos - EV Zug, Dienstag, 23. Februar 2016, der Zuger Emanuel Peter, links, versucht den Davoser Stuermer Dino Wieser zu bremsen (Juergen Staiger/EQ Images).

Vier Gründe, die gegen eine Titelverteidigung sprechen.

 

  1. Sättigungserscheinungen

Davos ist müde. Davos ist satt. 6 Titel in 14 Jahren, dazu noch zwei weitere Finalteilnahmen. Der HCD kennt das National League A Finale wie kein anderes Team. Wer sich die Meisterfeiern in Davos anschaut, weiss was gemeint ist. Mittlerweile ein Routine-Umzug, der einmal im Jahr über die Promenade rollt. Und auch wenn sich alle Fans bestimmt aufrichtig über die Titel freuen, so ist es doch was anderes, ob man als Fan 50 Jahre oder 50 Wochen auf den ersten (oder nächsten) Titel warten muss.

Keine Frage, der HCD ist heiss auf die Titelverteidigung. Aber nach 6 NLA-Meistertitel sowie 5 Spengler Cup Triumphen muss man sich fragen: Wie heiss kann ein Team nach einer derart erfolgreichen Dekade noch sein?

 

  1. Körperliche und mentale Verfassung

Sciaroni ist out, Corvi ist out. Das schmerzt. Aber das ist nicht alles. Der HCD musste diese Saison durch den Fleischwolf und das hinterliess Spuren. Und auch gesunde Spieler hinken teilweise ihren Erwartungen hinterher.

Felicien DuBois zeigte eine solide, wenn auch etwas durchzogene Saison. Nach dem unglaublichen Auftritt in den Playoffs 2014/15 durfte man zurecht eine ähnliche dominante Saison 2015/16 erwarten. Dies geschah bislang nicht. Du Bois zeigte sein Können und seine Erfahrung zwar regelmässig, sorgte aber auch immer wieder für erstauntes Kopfschütteln. Gewohnt war man sich die defensiven Aussetzer von Spielern wie Schneeberger oder Guerra, nicht aber vom prädestinierten Defensiv-Leader.

Und auch der zweite Turm in der Verteidigung zeigte zwei Gesichter: Beat Forster spielte eine überraschend starke Saison und sammelte in 44 Spielen 21 Skorerpunkte (8 G / 13 A). Trotzdem schoss der Ostschweizer Hühne auch immer wieder übers Ziel hinaus, verlor öfters die Beherrschung und teilte sich am Ende der Meisterschaft dem unrühmlichen Titel «Strafenkönig» mit Haudegen Johan Morant vom EV Zug (116 Strafminuten).

Und Gilles Senn wird Genoni nicht entlasten können. Der junge Goalie liess sein Talent immer wieder aufblitzen, und mit seiner Statur ist er gemacht für die Zukunft. Momentan ist Senn aber noch ein Unsicherheitsfaktor, der Davos viel kosten könnte. Anders gesagt: Wie fühlt sich wohl der HCD-Fan, wenn Genoni sich nach fünf Minuten im ersten Spiel gegen Kloten verletzt? Definitiv nicht optimistisch. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Fall nicht eintrifft und dass die beiden Verteidiger Du Bois und Forster zu ihrer Playoff-Form finden, die sie zu den besten im Lande macht.

Davos, 06.02.2016, Eishockey National League A, HC Davos - HC Lugano. Der Davoser(Ersatz)-Torhueter Gilles Senn. (Jakob Menolfi/EQ Images) *** Local Caption ***

  1. History

Die Zahlen belegen es. Seit 15 Jahren hat kein Team seinen Titel verteidigen können. Auch der HCD ist an dieser Aufgabe bereits fünfmal gescheitert. Teilweise relativ klar. Es ist auf jeden Fall extrem schwierig geworden, zwei Titel in Serie zu gewinnen. Unmöglich? Nein. Aber genug schwierig, um skeptisch zu sein.

 

  1. Die ZSC Lions

Es gibt wenig zu sagen, das nicht schon gesagt wurde. Die ZSC Lions sind von vorne bis hinten besser, jünger und tiefer besetzt als alle anderen Teams. Selbst die zweite Garde der Lions könnte in den Playoffs eine Falle machen und nach der letztjährigen Schlappe deuten alle Zeichen daraufhin, dass der grosse Dominator der Regular Season auch in den Playoffs das Mass aller Dinge sein wird. Und mit dem starken Auftreten von Auston Matthews und Daniel Rundblad ist eigentlich klar, wer der grosse Favorit ist. Der Weg zum Titel führt mit aller Wahrscheinlichkeit über den ZSC – ein allfälliges Rematch im Finale wäre sicher nicht die Wunschvorstellung des HCD. Man darf hoffen, dass der SC Bern dem Tabellenersten in den Viertelfinals ein Bein stellen kann. Oder dass die einzige wirkliche Schwachstelle der Lions, der Goalie, in den Playoffs die Nerven verliert. In einer Best-Of-Seven Serie wird es auf jeden Fall für jedes Team schwer gegen die Zürcher.

Es ist aber nicht alles düster. Davos hat einige Trümpfe in der Hand und kann optimistisch in die Playoffs steigen. Schlussendlich hat der HCD im letzten Jahrzehnt bewiesen, wie «clutch» sie sind, das heisst, wie nervenstark sie in wichtigen Situationen sind. Von hinten bis vorne ist Davos übersäht mit Spielertypen, die eine Partie drehen können.

Disappointment by Davos' Andres Ambuehl after the game between Switzerland's HC Davos and Team Canada at the 89th Spengler Cup ice hockey tournament in Davos, Switzerland, Wednesday, December 30, 2015. (EQ Images/Pascal Muller)

Vier Gründe, die für eine Titelverteidigung sprechen.

 

  1. 5-on-5-Power

Davos ist nicht von den Special Teams abhängig, sondern dominiert das Spiel in der wichtigsten Phase – bei numerischem Gleichstand. Das ist insofern wichtig, als dass Teams, die sich normalerweise auf hohe Trefferquoten und gute Powerplays verlassen, in den Playoffs das böse Erwachen erhalten. Playoff Hockey ist 5-gegen-5 Hockey, und da ist der HCD ganz vorne mit dabei.

 

  1. Kadertiefe

Davos hat viele Spieler, und wenn der HCD auf alle Kräfte zurückgreifen kann, dann ist der Sturm fast schon unheimlich. Dank der positiven Entwicklung der beiden Rookies Tino Kessler (18 Spiele, 1 G, 2 A ) und Marc Aeschlimann (49 Spiele, 8 G, 8 A) könnte Davos mittlerweile auf fast fünf solide Sturmlinien zurückgreifen. Das ist verrückt! Manche Teams träumen von einem soliden dritten, eventuell vierten Block. Davos kann in allen vier Linien Top-Stürmer auflaufen lassen. Die Tiefe mit Mauro Jörg, Dario Simion, Samuel Walser, Devin Setoguchi, Alexandre Picard, Dick Axelsson und Dino Wieser kann eine Serie entscheiden.

 

  1. Leaders

Marc Wieser, Andres Ambühl, Perttu Lindgren, Marcus Paulsson. Vier Spieler, die diese Saison gezeigt haben, dass sie das Team im Notfall auch alleine tragen können. Gerade Andres Ambühl ist brandgefährlich. Obwohl er eine weitere starke NLA-Saison mit 41 Punkten (14 G/27 A) in 50 Spielen zeigte, so wurde doch mehrheitlich über Perttu Lindgren oder Marc Wieser gesprochen. Dass der Sertiger aber immer noch zu den besten Spielern der Liga gehört, darf nicht vergessen werden. Bei 5-gegen-5 ist Ambühl weiterhin die dominante Bandenfräse, praktisch unbezwingbar vom Puck, mit viel Tempo und Leidenschaft. Und im Box Play gehört der Schwerstarbeiter zur Elite Europas – mit 5 Shorthander stellte er schon manches Powerplay bloss.

Davos hat die richtigen Leader in der richtigen Form ihres Lebens. Die Top-6 der Landwassertaler steht den anderen Teams in nichts nach und kann eine Serie entscheiden.

Bern, Eishockey NLA, SC Bern - HC Davos. 16. 1. 2016. Torhueter Leonardo Genoni (Davos)30 . (Daniel Teuscher/EQ Images)

  1. Genoni

Davos hat noch einen ultimativen Trumpf in der Hand. Leonardo Genoni. Leo. Der Meistergoalie. Mister Clutch in Person.

Leonardo Genoni ist die Schweizer Antwort auf Martin Brodeur und sollte mit Fug und Recht zu den besten Schweizer Goalies aller Zeiten zählen. Während selbst die bekanntesten eidgenössischen Torhüter immer wieder mal unkonstante Phasen hatten, so ist Genoni seit bald einem Jahrzehnt der sichere Wert. Und zwar vor allem, wenn es darauf ankommt. Hier ein Auszug aus der Saison-Vorschau:

«Der Davoser Torhüter ist einer der sichersten Werte in der Schweiz, spielt auf einem extrem hohen Niveau und blüht vor allem in wichtigen Spielen auf. In den letzten 5 Playoffs hatte der gebürtige Zürcher immer eine Fangquote von über .911, erhielt im Schnitt nur 2.22 Tore pro Spiel und hatte zwei Playoffs (die Meistertitel 2011 und 2015), in denen er pro Spiel weniger als 1.8 Tore erhielt. Wahnsinnswerte. Und das ist erst die halbe Miete, denn wenn man mal die letzten Turniere anschaut, wird Genonis Leistung noch eindrücklicher: 1.46 Tore pro Spiel und eine durchschnittliche Fangquote von 95% machen Genoni zum besten Goalie der Schweiz. Wenn’s drauf ankommt ist der Davoser der beste Spieler der gesamten Liga. Und wäre er zwei Zentimeter grösser, so wäre Genoni schon lange in der NHL und würde Berra und Hiller verdrängen.»

Leonardo Genoni kann mehr wie jeder andere eine Serie im Alleingang entscheiden. Und wenn die Weisheit lautet: «Der Goalie macht 50% des Erfolges im Eishockey aus», so sollte diese noch ergänzt werden mit «ausser der Goalie heisst Leonardo Genoni in den Playoffs, dann macht er 95% aus». Oder anders ausgedrückt: Von allen Stürmern, Verteidigern und Goalies in der National League A ist Genoni in Entscheidungsspielen der Beste. Ihn (ein letztes Mal) auf seiner Seite zu haben ist der wichtigste Joker für Arno del Curto.

Wie schön wäre es, wenn Leo, genau wie letzte Saison Reto Von Arx, in seinem letzten Spiel in Gelb-Blau, den Titel nochmals stemmen kann. Im Idealfall mit 12 Shutouts.

Und jetzt genug geredet. Go HCD!

 

 

(Bilder: Juergen Staiger, Marc Schumacher, Jakob Menolfi, Daniel Teuscher/EQ Images, Stats: Eliteprospects)

author

Richi Brändli

Redaktor Eishockey
Ehemaliger Kolumnist bei GRHockey, Plausch-Spieler und Fan von regionalem bis internationalem Eishockey.