Iraner wollen von Churer Hirnforschern lernen

Iraner wollen von Churer Hirnforschern lernen

Reza Rostami, Arzt und Professor an der Teheran Universität für Neuropsycholgie, weilt derzeit zu Besuch bei der Gehirn- und Traumastiftung Graubünden. Die Stiftung wurde in diesen Tagen von der nationalen iranischen Forschungskommission als Partner der Universität Teheran für ein wichtiges internationales Projekt berufen. Sie ist damit eine der ersten westlichen Institutionen, welche nach Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran ein offizielles Forschungsprojekt bearbeitet.

Die beiden Institutionen verfolgen gleiche Ziele: Sie suchen beide nach objektivierter Diagnosestellung bei mentalen Krankheiten: «Verhalten, Denken und Fühlen können oft sinnvoll durch neurophysiologische Hirnfunktionen erweitert werden», sagt Andreas Müller, CEO der Gehirn- und Traumastiftung. «Mittels biologischer Daten, welche vom Gehirn während der Untersuchung des Patienten abgeleitet werden, entstehen schnell und zweckmässig neue Einsichten.»

Müller hat in den letzten 15 Jahren tausende Daten vor allem von Menschen mit Aufmerksamkeitsschwierigkeiten analysiert. Mit seinen Daten zeigt er immer wieder, wo bei ADHS-Patienten, Kindern und Erwachsenen, das Problem liegt. Minutiös zeigt er mit dem Finger drauf und hilft, die richtige Therapie zu finden. Mit seinen Erkenntnissen ist Andreas Müller auf der ganzen Welt gern gesehener Experte und lehrt andere, ADHS und überhaupt mentale Probleme anhand der Hirnströme zu verstehen und wirksam zu therapieren.

Andreas Müller ist nicht nur auf der ganzen Welt zu Hause, Forscher der ganzen Welt treffen sich bei ihm in der Gehirn- und Traumastiftung Graubünden. Vorletzte Woche ein Forscher aus Harvard, der berühmten Universität in Boston, diese Woche Reza Rostami, Arzt und Professor aus dem Iran. «Unser gemeinsames Projekt begann vor drei Jahren», sagt Rostami. Für den Iran, einst ein abgeschottetes Land, sind Biomarker Neuland. «Bei uns galt bisher nur, was uns der Patient sagte. Wenn er sagte, er sei depressiv, mussten wir ihm glauben.» Biomarker wären aber präziser und würden die Diagnosefindung unterstützen. Im Iran besteht ein riesiges Interesse an diesem Ansatz. «Die Ärzte sind äusserst dankbar für die Objektivierung von Diagnosen, denn dadurch wird die Arbeit erleichtert», sagt Rostami.

Seit die Sanktionen gegen den Iran gelöst wurden, bemüht sich die Regierung um eine Zusammenarbeit mit dem Westen. «Das Projekt mit der Gehirn- und Traumastiftung Graubünden ist eines der ersten, das von der Regierung bewilligt wurde», sagt Rostami. Eine Woche wollen die beiden Spezialisten miteinander verbringen und dabei herausfinden, wie sich Biomarker schnell und mit geringen Kosten auf den Iran übertragen lassen. «Teure Untersuchungen sind bei uns nicht möglich, wir müssen mit geringem Aufwand möglichst klare Informationen über die Krankheit erhalten», sagt der Professor. Die Methode der Gehirn- und Traumastiftung kann genau das: zu bestimmten, klar umrissenen Funktionen der Informationsverarbeitung klare und zuverlässige Aussagen machen.

«Ich erwarte wenig Unterschiede»

Die Universität von Teheran ist die einzige Universität im Iran, die Biomarker testen könnte. Wer würde denn von den Diagnose profitieren? «Die Ärzte im Iran sind sehr offen für neue Therapien. Und je mehr wir andere Therapeuten schulen können, desto mehr Personen profitieren schliesslich davon», sagt Rostami. «Aber wir brauchen die Instrumente dazu.»

Im bewilligten Projekt soll die neurobiologische Informationsverarbeitung der Menschen in den beiden Kulturen zuerst verglichen werden. Man will verstehen, ob die Menschen der beiden Kulturen in bestimmten Arbeitssituationen unterschiedlich arbeiten. «Ich erwarte wenig Unterschiede. Die Hirnaktivitäten sind vorwiegend genetisch getriggert», sagt Andreas Müller. «Die Art und Weise wie man Probleme löst, sind seit Generationen die gleichen.» Allerdings habe er beim Vergleich von Schweizer Kindern mit Südkoreanischen Daten herausgefunden, dass die Uhren dort doch leicht anders ticken – «die südkoreanischen Kinder stehen allgemein unter einem höheren Druck als wir.» Rostami vermutet für den Iran ein ähnliches Ergebnis. Die Ergebnisse, die Verlauf dieses Jahres erscheinen sollten, werden mehr dazu aussagen können.

Das Projekt, ist sich Rostami sicher, wäre wegweisend für den Iran – vor allem, was künftige Zusammenarbeiten mit westlichen Ländern betrifft. «Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten.» Müller findet die Initiative der Iraner bemerkenswert: «Mit der gezielten Ausrichtung der Diagnostik der mentalen Störungen auf neurobiologische Marker verfolgen sie ein Ziel, das bei uns erst langsam in die Köpfe der Fachärzte kommt. Bei uns ist die Zweiteilung von Seele und Körper noch weit verbreitet, Biomarker werden noch kaum beachtet!»

Erhebliche Kostensenkung

Die Komplexität des Gehirns, die Schwierigkeiten Verhalten und Hirnfunktionen zusammen zu bringen und das Wissen für die Ärzte, Psychologen und Lehrpersonen leicht zugänglich und nutzbar zu machen sind wahrscheinlich die grössten Herausforderungen für die anwendungsorientierte Forschung der nächsten 10 Jahre, wie Müller sagt. «Auch wenn die Biomarker nur als ein Mosaikstein im diagnostischen Prozess zu sehen sind, ergeben sie neue Einsichten und Klarheit für Patienten und Ärzte, was schneller und klarer zur richtigen Diagnose und damit zur richtigen Behandlung führt. Das senkt die Kosten im Gesundheitswesen erheblich.» Für Müller ist der Austausch mit Fachpersonen der fremden Kulturen stets wohltuend und gewinnbringend. Er lerne viel von Reza Rostami. Besonders beeindruckt ist er davon, dass offenbar äussere Notwendigkeiten im Iran die Fachärzte schnell umdenken und handeln lässt.

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.

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