Der scheidende Bundespräsident

Der scheidende Bundespräsident

Ein Kommentar von Franco Membrini, Edinburgh und Tyll Mylius, Berlin

Joachim Gauck steht als Bundespräsident Deutschlands nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung. Ein Rückblick auf seine Legislatur und ein Ausblick auf potentielle Ersatzkandidaten.

Gaucks Aufstieg zum Bundespräsidenten Deutschlands begann mit einem politischen Skandal. Der damalige Präsident der Bundesrepublik Christian Wulff trat 2012 zurück, als seine Immunität wegen Verdachts auf Vorteilnahme aufgehoben wurde. Gauck, der bereits 2010 der Wunschkandidat Merkels und der Union war, übernahm dessen schwierige Nachfolge. Der Pastor aus Rostock hatte vor allem eine Aufgabe: Er sollte dem Amt wieder etwas Würde verleihen. Nach rund vier Jahren und Gaucks Ankündigung, nicht mehr anzutreten, kann nun Bilanz gezogen werden. Der 76-jährige hat geliefert und seine primäre Aufgabe souverän erfüllt. Gauck nahm sein Amt immer mit einer gewissen Bedeutungsschwere wahr, was ihm nicht nur in Deutschland Sympathien einbrachte. In Sachen Flüchtlingskrise vertrat er eine äusserst diplomatische Position, verurteilte Rechtsradikalismus scharf als «Dunkeldeutschland», warnte aber gleichzeitig vor naivem Optimismus angesichts einer Million Flüchtlinge. Auch im Ausland vertrat Gauck konsequent seine politischen Ansichten, zum Teil nur haarscharf an politischen Eklats vorbei. So belehrte er beispielsweise den chinesischen Staatschef eine Lektion in Menschenrechten, kritisierte in den USA das zu lockere Waffenrecht oder warf Erdogan eine «Gefährdung der Demokratie» vor.

Durch das Ausscheiden von Joachim Gauck gilt es nun, einen adäquaten Ersatz für dieses Amt zu finden, was leichter gesagt als getan ist. Denn die besagte Wahl könnte durchaus zu einem machtpolitischen Instrument werden, welches grosse Auswirkungen auf den Ausgang der Bundestagswahl im September 2017 haben wird. Somit beginnen bereits jetzt die ersten überparteilichen Gespräche darüber, welche potentiellen Kandidaten in Frage kommen. Da die klare Mehrheit in der Bundesversammlung, welche bekanntlich den Bundespräsidenten wählt, bei CDU und SPD liegt, ist anzunehmen, dass der Kandidat wohl aus einem dieser beiden politischen Lager stammen wird oder zumindest eine Nähe zu ihnen aufweist. Hierbei kommen nun verschiedene Persönlichkeiten in Frage.

Zum einen wird der momentane Finanzminister Wolfgang Schäuble genannt, der zwar in die Jahre gekommen ist, aber gleichwohl ein grosses politisches Gewicht aufweist und das Amt mit viel Expertise ausüben könnte. Doch intern wird darüber spekuliert, dass dieser sich nur zur Wahl stellen würde, sofern er die geschlossene Rückendeckung der gesamten Partei besitzt – dies ist aber mehr als fraglich. Auch aus aussenpolitischer Sicht gehört er  nicht zu den beliebtesten deutschen Politikern und könnte somit Schwierigkeiten bekommen, die nötige Mehrheit zu erhalten.

Ein anderer hochgehandelter Kandidat aus den Reihen der CDU ist der momentane Bundestagspräsident Norbert Lammert. Dieser bringt ebenso wie Schäuble langjährige Erfahrung mit, ist jedoch in der eigenen Partei überaus umstritten. Lammert gilt zuweilen als selbstverliebt und musste durch seine Amtsausübung als Bundestagspräsident häufig auch überparteiliche Entscheidungen treffen (die teilweise auch die Oppositionen stärkten), was verständlicherweise nicht immer im Sinne der CDU war.

Von Seiten der SPD ist der klare Favorit wohl der momentane Aussenminister Frank-Walter Steinmeier, der innen- wie aussenpolitisch einen sehr guten Ruf geniesst. Doch dieser würde sich wohl nur zur Wahl stellen, sofern auch die CDU geschlossen hinter ihm stehen würde.

Denkbar ist auch ein «Überraschungskandidat», mit dem momentan noch niemand rechnet. Die Grünen machen sich beispielsweise dafür stark, gern erstmalig eine Frau an der Spitze Deutschlands zu sehen.  Auf wen schlussendlich die Wahl fallen mag, ist noch ungewiss, doch sollte es allen Parteien klar sein, dass diese Wahl als Stimmungsbarometer für den Ausgang der Bundestagswahl 2017 interpretiert werden wird.

 

(Archivbild: joachim Gauck 2014 an der Fussball-WM mit Bundeskanzlerin Angela Merkel)

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Franco Membrini

Kolumnist
Hat an der University of Edinburgh seinen «Master of Science in History» absolviert. Zuvor studierte der Churer Geschichte, Betriebsökonomie und Staatsrecht an den Universitäten Bern und Bologna.