Die 5 Fragen nach dem Swiss Bowl

Die 5 Fragen nach dem Swiss Bowl

[tps_header]

Die Calanda Broncos sind am Sonntag von den Bern Grizzlies entthront worden – für viele nicht völlig überraschend.

[/tps_header]

[tps_title][/tps_title]

Derweil der Angriff der Bündner die ganze Saison auf höchstem Niveau spielte, kam die Verteidigung nie über NLA-Mittelmass hinaus. Das altbekannte Sprichwort «Offense wins Games, Defense wins Championships» bewahrheitete sich am Samstagabend im Stadion Rankhof in Basel. Eine schwache zweite Halbzeit der Broncos Offense im Swiss Bowl – mit nur einem Touchdown – reichte den Bernern letztlich zum Comeback-Sieg.

Im folgenden die Analyse der Final-Niederlage der Bündner und deren Bedeutung für die Zukunft in fünf Fragen.

[tps_title]1. Wie ist die Final-Niederlage der Broncos zu erklären?[/tps_title]

Nur einige Tage vor dem Swiss Bowl hatte es in der Sportwelt eine ähnliche Niederlage gegeben, dannzumal im Fussball, an der EM in Frankreich: Portugal ist zwar der neue Europameister, aber das stärkste Team des Turniers war eigentlich die deutsche Fussball-Nati. Allerdings liess sie im Angriff im entscheidenden Moment den Killer-Instrinkt vermissen, patzerte in der Verteidigung und unterlag einem Team, das den Sieg mehr wollte, als es drauf an kam. Dazu kamen einige schwerwiegende Ausfälle, die entscheidenden Einfluss hatten. Genau wie bei den Broncos am Samstagabend: Dabei kostete der Ausfall von Defense Captain Jamal Clay nach der schweren Verletzung in den Schlussminuten des Halbfinals gegen Winterthur die Broncos wahrscheinlich den Sieg – und fiel im Vergleich sicher schwerer ins Gewicht als jener von Mats Hummels für die deutsche Fussball-Nati. Das alles sind Erklärungsversuche und Begründungen, die eigentlich überflüssig sind. Die Grizzlies haben sich den Swiss-Bowl-Sieg mit einer kämpferischen Leistung auf dem Feld redlich verdient.

[tps_title]2. Wie sind die Grizzlies auf das Niveau der Broncos gekommen?[/tps_title]

Die Berner waren in den letzten Jahren nie weit weg. Schon letztes Jahr hatten sie Basel als erste Herausforderer hinter sich gelassen und verdienen sich nun den Sieg, weil sie dieses Jahr auch hinter den Kulissen die Hausaufgaben gemacht haben: Den «Blueprint» dazu schauten sie sich vom Finalgegner aus Graubünden selbst ab. Dazu müssen wir etwas zurückschauen, auf die frühen Football-Jahre in den 90er Jahren: Die damaligen Seaside Vipers aus St. Gallen hatten sich damals einen Meistertitel nach dem andern geholt, dank einer starken einheimischen Basis, kompetenten Coaches, starken Junioren, überragenden US-Verstärkungen und einer breiten Unterstützung dank Alumni-Betreuung und attraktiven Heimspiel-Events. Was die St. Galler damals vormachten: Nur das gesamte Paket hat eine nachhaltige Wirkung. Nur etwas fehlte den St. Gallern zum dauernden Glück: Eine breite Basis der Vereinsorganisation. Die Broncos kopierten und perfektionierten das Modell noch im alten Jahrtausend, obwohl noch mehrere wuchtige Auf und Abs bevorstanden. Aber sie setzten auf eine ambitionierte Nachwuchsförderung, schufen eine Community, füllten schon bald die Ringstrasse und standen in den letzten 19 Jahren nicht weniger als 12-Mal im Schweizer Endspiel (und gewannen es 7-Mal). Im Gegensatz dazu darbten die Grizzlies seit 20 Jahren vor sich hin, vergaben Jahr um Jahr mit inkompetenten Coaches, Fehlbesetzungen, Hire-and-Fire-Transfers und sturköpfigem «Swiss-Power-Gefasel» die Chance, mit ihrem unbestrittenen Talent um den Titel zu spielen. Nur 2007, als man sich grosszügig aus dem Spielerpool der umliegenden Klubs aus Thun, Biel und Fribourg bediente und überragende US-Söldner in den Reihen hatte, standen die Grizzlies zuoberst auf dem Treppchen.

Seit letztem Jahr besinnt man sich wieder darauf, dass es im Sport nicht nur, aber vor allem ums Gewinnen geht. Keine Frage: Den Titel 2016 verdanken die Hauptstädter ihren überragenden US-Söldnern – allen voran Quarterback Jake Caron, der die Broncos als Spielercoach und Spielmacher fast im Alleingang erlegte. Ohne ein breites und überdurchschnittliches Schweizer Kader wäre der Titel sicher nicht möglich gewesen. Aber man kann in der Schweizer Football-Geschichte so weit zurückblicken, wie man will: Ohne überragenden Quarterback aus den USA wird man nicht Schweizer Meister. Punkt.

[tps_title]3. Was bedeutet die Niederlage für die Broncos?[/tps_title]

Schwer zu sagen. Statistisch sind die Bündner trotz der zweiten Final-Niederlage in drei Jahren immer noch das Mass der Dinge in der Schweiz: 21:3-Siege, ein Meister- und ein Vizemeistertitel sind in den letzten beiden Jahren keine schlechte Bilanz für eine Equipe, der nach den goldenen Eurobowl-Jahren der Untergang prophezeit wurde. Allerdings kommen nun einige langjährige Leistungsträger langsam, aber endgültig in die Jahre – zum Beispiel André Mathes oder Tino Muggwyler – und müssen über kurz oder lang ersetzt werden. Auch Quarterback Josh Dean wird die Broncos voraussichtlich in Richtung USA verlassen, den Master-Spielmacher zu ersetzen wird nicht einfach sein. Auf den Skill Positions, wo die Broncos immer schon stark waren, sollten die Bündner auch in den nächsten Jahren reich bestückt sein. Wie schon seit jeher tun sich die Bündner aber schwer damit, für ihr Fanionteam, die U19 oder auch die U16, zahlenmässig grosse Teams zusammen zu bringen. Insbesondere schwergewichtige Athleten für die Angriffs- und Verteidigungslinie sind im Bündner Rheintal Mangelware – die grosse Konkurrenz von «ähnlichen» Sportarten wie Eishockey oder Schwingen und der x-fach kleinere Markt werden den Broncos auch in Zukunft wenig Chancen bieten, mit den Kadergrössen von Teams wie Basel, Bern oder Winterthur zu konkurrieren.

Es braucht auf jeden Fall ein cleveres Vereinsmanagement und viel Herzblut, die eine oder andere gezielte europäische Verstärkung sowie überragende Coaches und US-Söldner, um die unheimliche Swiss-Bowl-Bilanz von neun (!) Final-Teilnahmen in Serie fortzusetzen. Dass die Broncos es können, haben sie in den letzten beiden Jahren trotz der samstäglichen Niederlage mehr als bewiesen.

Vor allem aber braucht es weiterhin eine überragende Nachwuchsarbeit. Auch dieses Jahr wieder feierten die Bündner mit der U13 einen Schweizer Nachwuchstitel, dafür stürzte die U19 diesen Frühling als amtierende Meister unerwartet bös ab. Ob sie sich nächstes Jahr wieder zu einem Playoff-Team entwickelt, wird für die Zukunft der Broncos eine besonders wichtige Frage.

Ebenso wichtig ist für die Broncos die Stadionfrage: Nach dem Abbruch der Ringstrasse geht es für die Bündner in die neue, geplante Anlage an die Obere Au. Umso wichtiger, dass die Broncos als zuschauerstärkste Sportart (neben dem EHC) in Chur von Beginn weg an der Planung beteiligt sind – ein richtiges Stadion mit entsprechenden Trainings- und Spielmöglichkeiten ist für die Bündner Footballer überlebenswichtig.

[tps_title]4. Wie wirkt sich der Grizzlies-Sieg auf die Statistik aus?[/tps_title]

  • Die Berner sind nun fünffache Schweizer Meister und haben die anfangs zitierten Seaside Vipers vom dritten Rang in der Alltime-Rangliste verdrängt. Mit sieben Meistertiteln liegen die Calanda Broncos und die Zürich Renegades weiterhin ex-aecquo an der Spitze.
  • Die Grizzlies sind das einzige Schweizer Team, das in allen vier Dekaden, seit es Football in der Schweiz gibt, einen Meistertitel geholt haben (1989, 1995/96, 2007, 2016).
  • Die Broncos standen zum neunten Mal in Serie im Schweizer Endspiel – ein einsamer Rekord. In den letzten acht Swiss Bowls erzielten die Broncos jedes Mal mindestens 35 Punkte. Das reichte für sechs Meistertitel.
  • Fünf verschiedene Broncos erzielten am Samstag Touchdowns: Neben Quarterback Josh Dean skorten Tim Grossenbacher, Orlando Frehner, Lukas Lütscher und Adrian Sünderhauf – alle vier hatten einst bei den Broncos Juniors mit Football spielen begonnen.

[tps_title]5. Wie geht’s weiter mit dem Schweizer Football?[/tps_title]

2016 war sicher eine der spannendsten Schweizer Meisterschaften mit einem der besten Endspiele überhaupt in der über 30-jährigen Schweizer Footballgeschichte. Neben dem sportlichen Spektakel hat sich die Szene vor allem in der Vereinen verbessert. Auch beim neuen Meister aus Bern scheint man mittlerweile zu verstehen, dass Heimspiele die beste Visitenkarte für den Klub und den Sport sind. Endlich wird bei den Grizzlies regelmässig in einem echten Stadion gespielt, es gibt eine Festwirtschaft, die mehr ist als eine Einmann-Show hinter einem Grill, dazu einen Speaker – und schon schauen sich die Leute in der sportverrückten Schweizer Hauptstadt auch Football an. Der «Blueprint» ist in Bern angekommen. Auch die Basel Gladiators und die Winterthur Warriors, zwei weitere Schweizer Traditionsteams, folgen dem Erfolgsrezept seit längerem, so dass die Schweiz mittlerweile über eine NLA-Meisterschaft verfügt, die flächendeckend soliden Sport und Unterhaltung an den jeweiligen Heimspielen bietet. Wer stehen bleibt, fällt zurück – nichts symbolisiert dies mehr als der Niedergang der Zürich Renegades, die die Zeichen der Zeit in Witikon verschlafen haben – und nächste Saison nur noch zweitklassig sind.

Für die Zukunft scheint sportlich alles offen zu sein: Meister Bern Grizzlies, die entthronten Calanda Broncos, die Basel Gladiators mit ihrem beeindruckenden Nachwuchs, die weiter positiv auffallenden Winterthur Warriors, ja selbst der überraschende Aufsteiger aus Lausanne und die neu relegierten, finanzkräftigen Geneva Seahawks scheinen nächste Saison eine Rolle spielen zu können. Mit dem Abstieg Zürichs, dem Aufstieg Genfs und dem Meistertitel Berns ist das Epizentrum des Schweizer Footballs nach Westen gerutscht.

Bleibt die Frage offen, ob die Sportart, die in Nachbarländern wie Österreich oder Deutschland regelmässig, teils beachtliche vierstellige Zuschauerzahlen mobilisiert, auch in der Schweiz in der Öffentlichkeit an Bedeutung gewinnen wird. Eine nicht unwichtige Rolle könnte die Schweizer Football-Nati spielen: Am 2. September wird sie im B-EM-Halbfinale im italienischen Lignano gegen Serbien antreten. Bei einem Sieg würde sie schon zwei Tage später im Finale auf den Sieger des Spiels Italien-Israel treffen. Der Sieger wird dann 2017 gegen Schweden oder Dänemark um die Qualifikation für die A-EM 2018 in Deutschland spielen. Eine Teilnahme im Konzert der ganz Grossen könnte dem Schweizer Footballsport – so schwierig die Qualifikation auch sein möge – nach dem Eurobowl-Sieg der Broncos 2012 einen neuen Popularitätsschub geben.

 

(Bild: Pixabay)

author

Mathias Braendli

Redaktor Region/Sport
Marketeer, Ex-Journalist und Football-Blogger. Sound: Adam Green, Ryder the Eagle, Bob Dylan, Helloween. TV: Better Call Saul, Game of Thrones, Sport. Buch: Fall & Rise von Mitchell Zuckoff.