Ein Blog-Bericht des Wahltags aus Kalifornien.

 

Heute ist Election Day. Nach über 600 Tagen Wahlkampagne ist es soweit, die Amerikaner wählen den Nachfolger von Barack Obama.

Die Westküste ist drei Stunden hinter den Medien-Metropolen an der Ostküste zurück. Als wir um 8 Uhr aufstehen, sind Staaten wie North Carolina und Pennsylvania bereits voll im Rennen des grossen Finale der hässlichsten, skandalösesten Wahlkampagne um das wichtigste Amt der Welt. Wir schalten MSNBC ein, eines der politisch neutraleren Medienhäuser. Der grosse Tag beginnt.

Noch während wir den ersten Kaffee trinken, legen Donald Trumps Anwälte Klage ein. Die Lokale für Frühwähler in Nevada waren anscheinend zu lange offen. Oder so. Das Ganze wirkt lächerlich, aber irgendwie zu erwarten. Die Medien berichten über diese Breaking News, genauso wie über etliche Statistiken, wie zum Beispiel die Diskrepanz bei den weissen Wählern: 70% der weissen Bevölkerung ohne College-Abschluss bevorzugen die Republikaner – das ist mehr als 2012, als 63% für Mitt Romney stimmten. Dafür schwenkt das Pegel bei der Bevölkerung mit College-Abschluss stärker auf die Seite der Demokraten.

Die Amerikaner haben die Wahl, ob sie in einer geschlossenen Kabine ihre Stimme abgeben wollen, oder ob sie per Brief abstimmen wollen. Wer per Brief abstimmt muss sich nicht mit (den bekannten) Wartezeiten abfinden. Mit dem Wahlzettel ausgefüllt fahren wir zur lokalen Kirche, die als Wahllokal dient. Das Ganze ist unspektakulär. In dem kleinen Vorraum der Kirche sitzen vier Volontäre, niemand steht an. Einer nimmt das Couvert entgegen, ein anderer händigt einen Sticker aus: «I Voted». Das Ganze ist nicht weniger langweilig als bei uns.

Auf dem Heimweg gehen wir Einkaufen. Im Laden sieht man einige Amis mit dem Sticker auf der Brust – ein stolzes Abzeichen. Schlussendlich ist #ElectionDay ein grosses Ereignis, und man will zeigen, dass man seinen Teil beitrug. Wir holen Bier, um in der Hitze ein bisschen abzukühlen. Der Mann an der Kasse, ein junger Afroamerikaner, freut sich, einen Schweizer Pass zu sehen. Seine Eltern waren gerade erst in Lausanne. Er entschuldigt sich für die beiden Kandidaten und verkündet, dass er in vier Jahren als amerikanischer Präsident zur Verfügung stehen würde.

Zu Hause hören wir von der zweiten Klage von Donald Trump. 19 Wähler im Swing-State Ohio beklagen sich darüber, dass die Wahlmaschinen nicht funktionierten. Viermal mussten sie Donald Trump klicken, und trotzdem wurde jedes Mal automatisch Hillary Clinton angewählt. Donald Trumps Sohn tritt vor die Medien und gibt bekannt, dass sein Vater das Wahlresultat akzeptiere, solange es fair sei. Ich öffne mein erstes Bier.

In Kalifornien ist es warm und insofern langweilig, als dass der Staat an der Westküste keine Wahl-Spannung bietet. Es gibt zwar Trump-Wähler, und diese machen sich aktiv bemerkbar. In den letzten Wochen sah man überall Volontäre auf den Strassen, die Trump/Pence-Fahnen schwangen. Trotzdem ist es ausser Frage, dass der Westküstenstaat mit grosser Mehrheit für Hillary Clinton stimmen wird.

Clinton ist (wie in vielen anderen Staaten) das kleinere Übel für demokratische Wähler in Kalifornien – die Mehrheit hätte wohl lieber Bernie Sanders gesehen. Wir reden über Sanders und wie sehr der Titel «Socialist» ihm schadete. Und wie sehr es dem Land gut tun würde, wenn es keine Primary Elections gäbe und drei oder idealerweise sogar vier valable Kandidaten zur Verfügung ständen.

Der Wahlzettel von Kalifornien zeigt den kleinen aber feinen Unterschied zur Schweiz. Zur Debatte stehen für Kalifornier (nebst der Wahl des Präsidenten, der Senatoren, etc.) folgende Abstimmungen: Sollen Waffenbesitzer geprüft werden, bevor sie eine Feuerwaffe kaufen können? Soll Marihuana komplett legalisiert werden? Soll Englisch weiterhin als Hauptsprache unterrichtet werden? Soll die Todesstrafe weitergeführt werden? Soll in der Pornoindustrie eine Kondompflicht eingeführt werden? Nicht ganz die gleichen Probleme wie in Graubünden.

Zurück zur Präsidentschaftswahl, wo man gespannt auf die Resultate wartet: MSNBC berichtet, dass 87% der schwarzen Bevölkerung für Clinton stimmen. Das ist ein Rückschritt gegenüber den letzten Jahren, als Obama 95% (2012) und 93% (2008) hinter sich hatte. Diese und etliche weitere Statistiken torpedieren uns im Minutentakt auf allen Kanälen. (Della Torres Referenz zu Noah Trevors Video ist hier eine passende 7-minütige Unterhaltung). Der Countdown tickt unaufhaltsam, und überall wird in Prognosen vergewissert, dass Clinton einen klaren Vorsprung hat. Die Frau des ehemaligen Skandalpräsidenten ist zwar unbeliebt, aber scheint einem sicheren Sieg entgegenzuschreiten.

Mittlerweile ist es vier Uhr nachmittags an der Westküste und 7 Uhr Abends an der Ostküste. Das heisst, der Countdown ist vorbei: Die ersten Wahllokale sind geschlossen, #ElectionDay ist vorbei, #ElectionNight beginnt.

Die ersten Projections kommen rein. Georgia und Virginia werden zuerst publiziert. Beide sind zu knapp, um eine Aussage zu machen. Danach folgen weitere Staaten: Indiana wählt Trump, genauso wie Kentucky. Vermont wählt Clinton. Die erste kleine Schlacht geht an Trump. Ich öffne mein nächstes Bier.

Es ist das «Race to 270». 270 Elektoren, und man ist Präsident. Nach den ersten Staaten steht es 33:3 für Donald Trump. Ein gewisses Unbehagen kommt bei uns auf, doch dann folgen die grösseren Staaten: Illinios, New Jersey, und 14 weitere Staaten schliessen ihre Lokale, und nach dieser zweiten Welle steht es nun 75:66 für Clinton. Oder so.

Langsam wird es dunkel und es kühlt ab. Weitere Resultate von verschiedensten kleinen Staaten kommen rein, das Ganze ähnelt einem Sport-Event, bei dem das Ziel ist, 270 Punkte zu erreichen. Twitter ist ein Hin und Her – hat Trump nun Florida gewonnen oder nicht?

Ganz Amerika folgt gebannt die Updates im Minutentakt – online und am TV. In der Zwischenzeit wird bekannt, dass Trump Ohio und North Carolina gewinnt, was eine Überraschung ist und für Nervosität im demokratischen Lager sorgt. Vor allem der Swing State Ohio ist für einen Sieg des Aussenseiters Trump essentiell. Anscheinend konnte auch der NBA Star Lebron James nicht genug Sympathisanten für Hillary Clinton mobilisieren, die nicht mehr so siegessicher wird. Ich brauch ein Bier.

Um 20 Uhr schliessen die letzten Lokale und die Resultate der Westküste kommen rein: Wie erwartet stimmen Hawai’i, Kalifornien, Oregon und Washington für Clinton, während Idaho für Trump stimmt. Somit steht es 209:172 für Clinton. Viele Staaten sind aber noch offen. Es sind die wichtigsten Staaten. Die Resultate in Florida, Michigan, Pennsylvania, Nevada und Wisconsin werden das Rennen zu entscheiden.

Die lockere Stimmung vom Nachmittag ist gekippt. Die mögliche Realität, dass Donald Trump tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte, sickert langsam herein. Medien versuchen zu erklären, wieso Trumps Chancen momentan derart gut stehen. Es herrscht eine gewisse Unglaubwürdigkeit über die Situation. Ähnlich wie vor einem Jahr, als Donald Trump unerwartet die Primaries der Republikaner gewann und als Präsidentschaftskandidat feststand.

Um 20.30 Uhr wird bekannt, dass Donald Trump auch den wichtigen Swing-State Florida gewinnt. Er führt somit mit 228:209 und braucht nur noch 41 Elektoren für einen möglichen Sieg.

Die politische Karte ist mittlerweile rot gefärbt. Die Republikaner beherrschen den kompletten Süden und mittleren Westen. Einzig die Westküste und der Nordosten sind blau gefärbt – die leise Hoffnung der Demokraten. Es steht mittlerweile 244:209 für Trump, und es sind nur noch wenige Staaten offen. Pennsylvania, Wisconsin und Michigan werden die Entscheidung bringen, und es sieht düster aus für Clinton. Die Powerfrau, die seit Wochen als klare Siegerin feststand, ist plötzlich kurz vor dem Scheitern.

Niemand witzelt mehr über die Klagen, die Trump am Vormittag einreichte. Der Umstand, dass The Donald der nächste amerikanische Präsident werden könnte, manifestiert sich immer mehr. Die neusten Breaking News unterstützen die Befürchtungen: Die Staaten Pennsylvania und Wisconsin scheinen ebenfalls auf seine Seite zu kippen. Niemand redet mehr über Clinton, und wenn, dann nur, um zu kritisieren, was sie falsch machte.

Das Erschreckende ist der krasse Unterschied zwischen den ländlichen Gegenden und den Städten, zwischen den Küsten und dem mittleren Westen. Während die Demokraten in Städten und Küsten teilweise über 80% aller Stimmen holen, sind rurale Gegenden komplett in republikanischer Hand. Das Land ist gespalten, und die Präsidentschaftswahl 2016 zeigt dies unverblümt auf.

Was viele Amerikaner für unmöglich hielten, ist um 22.30 Uhr pazifische Uhrzeit Wahrheit geworden. Donald Trump ist der 45. Präsident der USA. Nebst dem Schock über diese News ist eine Tatsache so erschreckend wie sicher: Trumps Wahl hat gezeigt, dass über 50 Millionen Amerikaner/-innen der Meinung sind, dass eine Person wie The Donald mit all seinen Positionen ein valabler Präsident ist.

Und als ob dieses fast zweijährige Reality-TV-Drama nicht bescheuert genug war: Der Rapper Kanye West gab bekannt, dass er 2020 als demokratischer Kandidat ins Rennen gehen wird. Die armen Amerikaner – in vier Jahren wird der Wahnsinn noch grösser, wenn es heisst «Trump oder West».

Demokratie wie bei uns, aber eben doch ganz anders.

author

Richi Brändli

Redaktor Eishockey
Ehemaliger Kolumnist bei GRHockey, Plausch-Spieler und Fan von regionalem bis internationalem Eishockey.