Tourismus.Total: Und täglich grüsst das Murmeltier

Tourismus.Total: Und täglich grüsst das Murmeltier

Was gibt es Schöneres als im Winter auf einem Berggipfel den Sonnenaufgang zu erleben. Die absolute Ruhe, der innere tiefe Frieden mit sich selbst und der Welt, die unten im Tal noch vor sich hin döst. Irgendwo kocht ein Patrouillier den ersten Kaffee, dessen Duft die kalte Luft zum Dampfen bringt. Um 8:00 Uhr ist die Stille vorbei, das Rattern der Sesselbahn kündigt vom Beginn eines neues Tages, fröhliches Lachen von skifahrenden Kindern bringt das Leben zurück auf den Berg. Doch so schön die Bilder sind, die uns obige Wort ein unsere Köpfe zaubern: Das Leben auf dem Berg ist und war noch nie einfach, schon gar nicht für die Menschen, die vom und für den Tourismus leben. Die letzten Winter waren für viele Bergbahnen eine Zerreissprobe. Wer in den vorangegangenen Jahren keine finanzielle Reserven aufbauen konnte, der stand Ende Wintersaison 2014/2015 vor dem Aus. So auch zum erneuten Male die Sportbahnen Bergün. Der offensichtliche Klimawandel und der demzufolge verspätete Wintereinbruch hatte bei den Bergüner Bergbahnen im Frühjahr 2016 ein Defizit von CHF 250’000.— hinterlassen. So muss es den Bergünern im Frühjahr 2016 so vorgekommen sein wie Bill Murray im Film „Und täglich grüsst das Murmeltier“: Wieder stand die Geschäftsleitung der Sportbahnen im hinteren Albulatal vor der Aufgabe, das Unternehmen vor dem Aus zu retten.

Wie schwierig diese Aufgabe wohl gewesen sein musste zeigt sich schon dadurch, dass zwei Drittel der finanziellen Mittel aus dem Unterland kommen. Also von den Menschen, die im Albulatal ihre Momente der Ruhe und des Kaffeeduftes suchen, und nicht von denjenigen, welche dank und wegen der Bergbahnen in einer zukunftsorientierten Region leben. Nun könnte das Verhältnis des geringen Engagements der Beteiligung von nur einem Drittel der Bergüner auch als Votum gegen die Rettung der Bahnen gewertet werden, doch diese Mutmassung greift wohl zu kurz. Denn der Rettungsversuch erbrachte weit mehr als die fehlenden Mittel von CHF 250’000.—. Nach Angaben der Geschäftsleitung der Sportbahnen Bergün konnte dank der knapp CHF 300’000.— der Winterbetrieb 2016/17 bereits aufgenommen werden. Somit stehen heute die Sportbahnen Bergün, wie wohl noch manch andere Bergbahn in den Alpen, wie beim Monopolospiel zwar mit leeren Taschen da, aber doch zumindest auf dem Feld „Los“ und dürfen nochmals eine Runde mitspielen. Bleibt zu hoffen, dass den tapferen Kämpfern hinten im Albulatal auch das Wetter gut gesonnen ist und es einen schneereichen Winter gibt. Denn die Moral der Geschichte ist, dass es sich immer lohnt für seine Ideale einzustehen, auch in schwierigen Zeiten in denen das Licht am Ende des Tunnels noch nicht zu sehen ist. Dies analog dazu, dass der Tourismus eine valable Möglichkeit darstellt, gemeinsam die Zukunft der Bergregionen zu gestalten, auch wenn dies noch nicht in allen Talschaften angekommen ist.

Kommentar

Lieber Ditti

Aus Deinen Zeilen kann „Tourismusgeschichte“ gelesen werden, wie sie sich seit Jahren immer und immer wieder – in vielen kleineren Tourismusdörfern und –regionen, abspielt. Das lange Warten auf Schnee, welcher die Grundlage für Wirtschaftlichkeit bildet, die Abhängigkeit von Zweitwohnungsbesitzern aus dem Unterland und das zaghafte Einbringen von Ressourcen aus eigenen Händen von Einheimischen. Seit 18 Jahren tummle ich mich an vorderster Front im Tourismus in verschiedenen Bereichen, von Skischule über Hotellerie, FeWo-Vermietung oder eben Destinationsorganisation. Als Tourismusdirektor von Sörenberg/Entlebuch und hier auf der Lenzerheide erlebe ich zwei unterschiedliche Destinationsstrukturen, Destinationsstrategien und Destinationsfinanzierungen. Etwas aber ist in beiden Regionen gleich! In beiden Regionen haben sich Politik, Leistungsträger und Destinationsorganisation zusammen für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie entschieden. Das „Bermuda-Dreieck“ aus Gemeinde (Finanzierung, Infrastruktur), Bergbahn (wichtigster Leistungsträger) und Destinationsorganisation (Produktgestaltung, Marketing) hat den Mut gehabt, sich auf touristische und wirtschaftliche Leuchttürme zu fokussieren, diese nachhaltig im Sinne einer Strategie zu entwickeln und auf weniger wichtige Angebotsteile, die nicht nachhaltig entwickelt werden können, zu verzichten. Ein langer, harziger und nicht immer einfacher Weg, da von allen Seiten die Verlustängste in Opposition umgewandelt werden. Das gemeinsame Entwickeln von Chancen, das gemeinsame Umsetzen und die gemeinsamen Erfolge können zum Treiber von nachhaltiger Destinationsentwicklung werden.

Was das für Bergün heissen könnte? Einen ganz „einfachen“ Positionierungsprozess zu lancieren. Sind wir bekannt für unsere Skipisten oder sind Schlitteln, Bahnmuseum oder Rhätische Bahn nicht die grösseren Treiber? Benötigen unsere grössten Unterkunftsanbieter (Reka, Hotels) ein grosses Skigebiet oder reichen „Übungslifte und Kinderländer“ für die grösste Gästegruppe? Welche Innovation könnte mit den jährlich in die Sanierung der Skiliftunternehmung eingebrachten Mittel finanziert werden und welchen nachhaltigen Erfolg (wirtschaftlich, ökologisch und sozial) könnte man erreichen? Würde eine Neupositionierung mit Fokussierung auf bekannte Stärken und neue Trends (z.B. Entschleunigung) dem Tal mehr Wertschöpfung bringen? Bekannte Fakten sind, dass die grossen Skigebiete in Graubünden immer grösser werden, dass diese die Beschneiung immer stärker ausbauen und die Unterkunftspreise für Ski-Ausflüge inklusive Skitickets in den meisten grösseren Orten eher sinken. Für Kleinskigebiete sind das Marktnachteile, die nicht kompensiert werden können. Somit bleibt wohl einzig die Suche nach einem neuen Weg. Und wenn Einheimische in Gemeinsamkeit einen neuen Weg einschlagen heisst das nicht primär, dass die Zweitwohnungsbesitzer aus dem Unterland diesen nicht mitgehen werden. Wenn man sie einbindet, mit ihnen kommuniziert und sie auch in die Verantwortung nimmt, könnte daraus ein nachhaltiges Zukunftsprojekt für ein ganzes Tal werden. Es wartet also viel Arbeit auf viele kleine Täler in Graubünden.

Bruno Fläcklin

Geschäftsführer der Ferienregion Lenzerheide

Die Tourismus-total-Expertenrunde von GRHeute berichtet und kommentiert einmal wöchentlich über aktuelle Tourismusthemen für Graubünden. Unverblümt und direkt von der Front.

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Ditti Buergin-Brook

Kolumnist Tourismus
Creative Producer bei der La Siala Entertainment GmbH («Schellen-Ursli»). Ehemaliger Studiengangsleiter HTW Chur (Multimedia Produktion und Journalismus), Dozent an den Hochschulen München und Berlin, u.a. in Kulturmanagement, sowie Dozent für Filmproduktion an der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam.