Wo Graubündens Olympiaträume entschieden werden

Wo Graubündens Olympiaträume entschieden werden

[tps_header]Olympische Spiele 2026 in Graubünden? Die nächsten Monaten werden – mit der schicksalshaften Abstimmung vom 12. Februar 2017 in Graubünden und der Wahl des Exekutivrats von Swiss Olympic im März – entscheiden, ob und mit welchem Konzept eine Schweizer Kandidatur ins Rennen steigt. Eine geografische Beurteilung des neuen Olympia-Anlaufs, ausgehend von der abgelehnten Abstimmung vor drei Jahren.[/tps_header]

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Selten wurde ein Abstimmungskampf in Graubünden derart emotional geführt wie bei der Olympia-Abstimmung 2013. Am Ende siegten die Gegner mit 52,66% (41’758 Stimmen) – 47,33% (37’540 Stimmen). Oder anders ausgedrückt: Hätten kantonsweit 2110 Personen, die ein «Nein» eingeworfen haben, «Ja» gesagt, wäre das Anliegen durchgekommen und Graubünden möglicherweise schon für 2022 Schweizer Kandidat geworden. Oder anders auasgedrückt: Bei gleichem Wählerverhalten wie bei der Abstimmung 2013 müsste rund jeder 20. Nein-Stimmer seine Meinung ändern, um diesmal ein Ja zu realisieren.

Ein Blick auf die Bündner Karte zeigt, wo die entscheidenden Stimmen verloren gegangen sind. Allein in den «urbanen» Regionen, den bevölkerungsreichen Chur, Fünf Dörfer und Bündner Herrschaft stimmten rund 4200 Personen mehr Nein als Ja. Das sind auch die Regionen, in denen der klassische Ferien-Tourismus im Kanton am wenigsten Bedeutung hat.

Die «Nein-Achse» strömte vom Bündner Rheintal und Chur in die anliegenden Regionen aus: Im vorderen Prättigau ging Olympia 2022 ebenso unter wie in den Kreisen Rhäzüns und Domleschg. Und via Ems-Felsberg-Tamins (mit fast 500 mehr Nein- als Ja-Stimmen) wurden auch in der Surselva von Trin über Flims/Laax bis Ilanz über 400 mehr Nein- als Ja-Stimmen eingeworfen.

Abgesehen von einzelnen anderen Gemeinden wurden die Olympia-Pläne im Kanton sonst mehrheitlich angenommen, in den vorgesehenen Olympia-Standorten St. Moritz und Davos mit rund 70% Ja-Stimmen – ganz nach dem Grundsatz «je touristischer, desto mehr Ja-Stimmen».

Für die Olympia-Promotoren wird es entscheidend sein, in Chur, im Bündner Rheintal und in den angrenzenden Talgebieten mehr Wähler von der Bedeutung der Spiele zu überzeugen. Allerdings ist auch in anderen Regionen Potenzial zu erkennen.

Auf der nächsten Seite ein Blick auf die kritischen Regionen für die Abstimmung vom 12. Februar.

[tps_title]Achse Ems – Chur – Landquart[/tps_title]

Das «urbane» Bündner Rheintal versenkte Olympia 2022 fast im Alleingang. Acht der elf schlechtesten Resultate der letzten Abstimmung resultierten aus Sicht der Olympia-Promotoren auf der Achse Chur-Landquart-Bündner Rheintal. Dass die Spiele 2026 dezentral werden, rückt Chur und das Bündner Rheintal mitten ins – oder besser: in ein – Zentrum der neuen Olympiabewegung. Medaillenvergaben und Curlingbewerbe sollen in der ältesten Stadt der Schweiz ausgetragen werden. Trotzdem ist die Skepsis in und um Chur bei vielen immer noch gross. Wir schätzen, dass höchstens 10% der letztmaligen Nein-Stimmer bereit sind, ihre Meinung zu ändern und sie am Abstimmungstag kund zu tun. 

Eine kleine theoretische Spielerei: Wenn diese 10% ihre Meinung geändert haben und die Mobilisierung in beiden Lagern ansonsten ähnlich verläuft wie 2013, wird in den wirtschaftsstärksten Regionen Graubündens insgesamt immer noch ein Nein resultieren, nach dieser Rechnung mit ca. 12’800:11’500 Stimmen. Allerdings würden die Promotoren mit einem solchen Resultat auf einen Schlag fast drei Viertel der nötigen 2110 Stimmen aufholen (vorausgesetzt, in den anderen Regionen wiederholt sich das Abstimmungsverhalten vom letzten Mal). Das ist natürlich nur eine Spielerei, da unzählige Variabeln – beispielsweise, dass einige diesmal Nein sagen werden, nachdem sie Olympia beim letzten Mal befürwortet hatten – hierbei nicht eingerechnet sind.

Hier gehts weiter zu einem Rück- und Ausblick auf die Bündner Herrschaft und das vordere Prättigau.

[tps_title]Vorderes Prättigau, Bündner Herrschaft[/tps_title]

Im vorderen Prättigau und in der Bündner Herrschaft verloren die Olympia-Befürworter fast in jeder Gemeinde, insgesamt sagten überdurchschnittliche 55% Nein.  Auch rund um die Klus ist schwer einzuschätzen, ob eine Verbesserung realistisch ist. Angesichts der düsteren Tourismus-Resultate im Prättigau, vor allem auch im letzten Jahr, lassen sich einige diesmal möglicherweise überzeugen. Vielleicht auch die Aussicht auf Eishockey-Spiele im olympischen Frauenturnier in Grüsch. Gelänge auch hier ein Meinungsumschwung von rund 10% der Neinsager, würde dies rund 300 zusätzliche Stimmen für das Ja-Lager bedeuten.

Hier gehts zur neuen Situation in der Surselva.

[tps_title]Flims, Laax, Ilanz[/tps_title]

Grosse Hoffnung können die Promotoren in der Surselva hegen. Die Tourismusregion lehnte Olympia letztmals mit fast 500 mehr Nein- als Ja-Stimmen klar ab. Viele mutmassen, dass die Ablehnung insbesondere daher rührte, dass die Region im Olympia-Konzept 2022 nicht berücksichtigt worden war. Diesmal hat das Wintersport-Mekka die Zusage für die olympischen Snowboard-Freestyle-Wettkämpfe, eine spektakuläre Vorstellung, die in der Region vielen Touristikern weit süsser schmeckt als beim letzten Mal. Alles andere als ein Ja würde die Olympia-Promotoren diesmal sicher besonders enttäuschen. «Nur» etwas mehr als 200 Personen müssten sich dazu umentscheiden.  

Auf der nächsten Seite einen Blick auf die «Nein-Bastionen».

[tps_title]Die Nein-Bastionen[/tps_title]

Die Gemeinden an der A13 haben mehrheitlich gegen Olympia 2022 gestimmt, nicht nur im Bündner Rheintal. Auch im Domleschg, im Kreis Thusis und im Bezirk Hinterrhein war die Bevölkerung mehrheitlich dagegen. Ob die Nähe zu den neuen bzw. «aufgemotzten» Olympiadestinationen Flims und Lenzerheide einen Meinungsumschwung herbeiführt, wird sich zeigen. Die grösste Ablehnung der Kandidatur gab es im Kreis Roveredo, wo fast 500 mehr Nein- als Ja-Stimmen eingingen. Fernab von den Spielen dürfte die Bevölkerung in Südbünden auch zum Kredit für die Spiele 2026 deutlich Nein sagen. Auch weit weg von den Zentren sind die äussersten drei Kreise im Oberland, Disentis, Medel und Tujetsch. Auch hier sagten bei der letzten Abstimmung fast 500 Menschen mehr Nein als Ja. 

Hier geht’s zum Abstimmungsverhalten in den Tourismusregionen.

[tps_title]Die Tourismusregionen[/tps_title]

Die grossen noch nicht genannten Tourismusregionen Klosters-Davos, Vaz/Obervaz mit der Lenzerheide, das Oberengadin rund um St. Moritz sowie das «loyale» Unterengadin rund um Scuol sagten schon 2013 deutlich Ja zu Olympia, teilweise mit über 70% Anteil. Angesichts der Abhängigkeit vom Tourismus ist auch in der bevorstehenden Abstimmung mit ähnlichen Resultaten zu rechnen. Potenzial liegt sicher noch in Arosa brach, das letzmals nur hauchdünn zustimmte. Mit dem Zusammengehen der Bergbahnen Lenzerheide-Arosa sowie der Aussicht auf Skicross und die alpinen Snowboard-Wettkämpfe im Schanfigg ist die Region im Gegensatz zum letzten Olympia-Projekt ein neues Zentrum der geplanten Spiele in Graubünden, neben Chur und Flims/Laax somit einer der grössten «Gewinner» des neuen Konzepts.

Einige unbekannte Faktoren vor der Abstimmung vom 12. Februar.

[tps_title]Die Variablen[/tps_title]

  • Die wirtschaftlichen Aussichten für Graubünden haben sich in den letzten drei Jahren verändert: Wie viele der Bündnerinnen und Bündner, die letztmals Nein gestimmt haben, glauben diesmal an die Strahlkraft und die Investitionen, die Olympische Spiele auslösen?
  • Wie viele Bündnerinnen und Bündner halten die neue Kandidatur für eine ‚Zwängerei‘ und sagen deshalb Nein, obwohl sie beim letzten Mal vielleicht noch dafür waren?
  • Wie hoch wird die Stimmbeteiligung diesmal sein (2013: 59,14%)? Welches Lager mobilisiert wie gut?
  • Gibt es in den bevölkerungsreichsten Gemeinden genügend Wähler, die bereit sind, ihre Meinung vom letzten Mal zu hinterfragen?

Sollen wir eine Prognose wagen? Auf der nächsten Seite kommt sie.

[tps_title]Die Prognose[/tps_title]

Sehr schwierig zu sagen – natürlich. Insgesamt fällt es diesmal sicher leichter, Ja zu sagen. Die IOC-Charta, die für Veranstalter sicher besser ist als die Situation beim letzten Mal, der wirtschaftliche Druck auf den Tourismus und neue regionale Anreize durch die dezentrale Austragung (z.B. Flims/Laax, Arosa) locken wohl einige zu einem Ja. Wie viele, ist offen. Eine ganz wichtige Rolle wird am Schluss erneut die Achse Ems-Chur-Bündner Rheintal-Herrschaft spielen. Ohne Resultatverbesserung in der bevölkerungsreichsten Region Graubündens dürfte ein Erfolg schwer zu realisieren sein, schon gar nicht, wenn dieser eindeutig ausfallen soll. Dass Chur mit einem olympischen Dorf, den Curling-Bewerben und einer Medal Plaza in der Altstadt ins Zentrum des Geschehens rückt, dürfte aber wohl ebenfalls einige zu einem Ja bewegen – zumal auch die bürgerlichen Parteien geschlossener ins Rennen steigen als letztmals. In Zahlen ausgedrückt wagen wir – zum jetzigen Zeitpunkt – nur eine Prognose mit 10% Spannbreite: Am 12. Februar gibt es ein Resultat irgendwo zwischen 54% Nein und 56% Ja.

 

(Bilder: zVg./gr.ch/GRHeute Archiv)

author

Mathias Braendli

Redaktor Region/Sport
Marketeer, Ex-Journalist und Football-Blogger. Sound: Adam Green, Ryder the Eagle, Bob Dylan, Helloween. TV: Better Call Saul, Game of Thrones, Sport. Buch: Fall & Rise von Mitchell Zuckoff.