Aus dem Nichts zum Bündner Shooting-Star

Aus dem Nichts zum Bündner Shooting-Star

Reto Hartmann
19.12.2016

Wer ist der Bündner oder die Bündnerin des Weekends? Wenn es um die beste Geschichte geht, dürfte Jasmine Flury einige Argumente haben. Wer ist Jasmine Flury, fragen Sie? Hier ist sie, die erstaunliche Geschichte einer jungen Skifahrerin aus Davos.

Derweil das Schweizer Männerteam mit mehreren Bündner Skicracks verwöhnt ist, fährt das weibliche Geschlecht in Graubünden der nationalen Spitze bekanntlich seit längerem hinterher. Zumindest bis gestern Sonntag: Da tauchte nach dem Super-G von Val d’Isère plötzlich ein Name im Klassement auf, den man im Weltcup noch gar nie in den Punkterängen gesehen hat: 11. Platz, Jasmine Flury. Die 23-jährige Davoser B-Kaderfahrerin startete am Wochenende in Val d’Isère erstmals in dieser Saison im Weltcup und holte sich am Sonntag im Super G mit dem starken 11. Platz die ersten Punkte in ihren bisher 12 Weltcup-Einsätzen. Ski alpin - Super-G Frauen Val d'Isere 2016

Dass Flury so rasch so schnell fahren würde, konnte nicht erwartet werden. Zwar glänzte das Schweizer Team in Val d’Isère mit der «zweiten Garde», fuhren doch auch Joana Haehlen (8.) und Priska Nufer (12.) äusserst stark. «Wir ergänzen uns sehr gut, wir haben ein Super-Team», freute sich Flury über das Team-Ergebnis, das im Lichte von Lara Guts Sieg gleich doppelt hell strahlte.

Die 23-Jährige hatte in den letzten Jahren zwar mehrfach angedeutet, dass sie das Talent für eine Weltcup-Karriere hat. Im Europacup überzeugte sie vorletzte Saison mit drei Siegen und sechs Top-4-Platzierungen. Damit sicherte sie sich Weltcup-Startplätze für den letzten Winter. Da aber begannen die Probleme: Wegen Hüftproblemen musste sie vor ziemlich genau einem Jahr, bevor sie überhaupt ein einziges Saisonrennen bestreiten konnte, für den ganzen Winter forfait geben. «Es ist ein herber Schlag in meiner Karriere», sagte sie vor den letzten Weihnachten geknickt gegenüber skionline.ch, «vor allem auch, weil ich mich so sehr auf diese Saison gefreut habe. Nichts desto trotz, oder vielleicht genau deshalb, werde ich alles geben was in mir steckt, um nächste Saison dann voll angreifen zu können.»

Erneuter Rückschlag mit Horrorsturz

Voll angreifen, genau dies wollte Flury diesen Winter tun. Da einmal errungene Punkte im FIS-Ranking immer über mehrere Saison aktiv bleiben, konnte die Davoserin Ende November trotz fehlender Rennpraxis die Weltcup-Rennen in Übersee ins Visier nehmen. Hätte, denn es kam wieder anders.

Beim hässlichen Trainingssturz vor drei Wochen in Copper Mountain zog sich Flury Prellungen und eine Gehirnerschütterung zu, musste den Übersee-Trip abbrechen und in die Schweiz zurückreisen. «Ich habe noch Glück im Unglück gehabt», sagte Flury gegenüber skionline.ch, «ich habe eine Gehirnerschütterung und starke Prellungen. Nach dem Sturz war ich kurz ohne Bewusstsein, bin dann aber danach selbständig runter gefahren.» Das Knie und auch ein Fussgelenk seien zwar noch geschwollen, trotzdem gab die Bündnerin Davoserin schnell Entwarnung: «Es geht mir ganz gut und ich habe auch schon wieder ein bisschen frei Ski fahren können.» Nach medizinischen Checks in der Schweiz nahm sie das Training rasch wieder auf und stieg wieder voll ins ein, nachdem ihre Kolleginnen von den Weltcup-Rennen aus Lake Louise zurückkamen.

fluryAm Samstag, drei Wochen nach dem Horrorsturz, war es soweit: Seit dem 12. April 2015 war Flury kein Rennen mehr gefahren, eineinhalb Jahre musste sie nach ihren Hüftbeschwerden und dem Sturz in Nordamerika wieder auf einen Start warten. Ein 33. Rang war in ihren bisherigen zehn Weltcup-Rennen ihr Bestergebnis gewesen. In den Trainings zur Abfahrt vom Samstag liess die Speed-Spezialistin mit schnellen Fahrten aufhorchen, die Vorfreude war gross. Der Ausfall in der Abfahrt vom Samstag war auf den ersten Blick eine kleine Enttäuschung, aber auch dies brachte die Davoserin nicht aus dem Konzept. Gestern fuhr Flury mit der Startnummer 33 ein erstaunliches Rennen und fuhr gleich auf Platz 11 vor. Damit war sie aus dem Nichts drittbeste Schweizerin. «Ich bin einfach froh, dass ich jetzt zeigen konnte, wofür ich die letzten zwei Jahre trainiert habe», sagte sie gegenüber SRF. Damit wird die 23-Jährige in einem starken Frauen-Team plötzlich auch eine ernstzunehmende Kandidatin für einen Platz im Frauen-Team für die WM vom Februar in St. Moritz. 

fluryJasmine Flury, eine der neuen jungen Wilden im Schweizer Ski-Team – und endlich ist auch Graubünden wieder mit einer Athletin im Weltcup-Zirkus mitten im Geschehen. Mit drei Super-Gs im Januar (und allenfalls drei Abfahrten) hat Flury jedenfalls noch genügend Chancen, sich ein Ticket für die Heim-WM zu ergattern. Im Grunde eine unglaubliche Geschichte nach einer derart langen Verletzungspause, zumal die Davoserin im Herbst ja erst gerade 23 Jahre alt geworden ist. Gemäss den Selektionskriterien des Schweizerischen Skiverbandes braucht es für eine WM-Qualifikation eine Rangierung in den Top 7 oder zwei in den Top 15. Sprich: Ein weiterer Platz in den Top 15 in den nächsten drei Super-Gs und Flury ist in St. Moritz dabei – vorausgesetzt, nicht mehr als vier Schweizerinnen erreichen das Soll, dann gäbe es möglicherweise noch eine interne Qualifikation.

Wir freuen uns, dass Graubünden auch im Weltcup der Frauen wieder mitmischt, sind gespannt auf die nächsten Rennen und gratulieren Jasmine Flury zum geglückten Comeback – wir drücken die Daumen!

 

(Bild: EQ Images/Mathias Mandl)

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Reto Hartmann

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