HTW Blog: Was ist Architektur?

HTW Blog: Was ist Architektur?

GRHeute
11.01.2017

Oft hört man als Antwort auf die Frage: «Was ist gute Architektur?», das sei eben Geschmacksache. Doch das ist ein Missverständnis. Architektur ist zwar mit Kleidern vergleichbar, doch eine langfristige Angelegenheit. In der Oper ziehe ich etwas anderes an als zur Arbeit oder wenn ich an ein Konzert oder zum Sport gehe. Die falschen Kleider können dazu führen, dass man total deplatziert ist. Hierbei sind sowohl der kulturelle Kontext, der Nutzer, aber auch die Funktion massgebend.

Ein Beitrag im Rahmen der HTW-Blog-Reihe. Text: Prof. Daniel A. Walser

Unpassende Kleider können rasch ausgetauscht werden. Gebäude bleiben aber für mindestens 80 Jahrzehnte bestehen. Sie früher abzureissen ist sowohl ein ökonomischer aber auch ökologischer Verschleiss, den es zu verhindern gilt.

Gebäude bleiben normalerweise für Generationen bestehen. Wünsche, Bedürfnisse, aber auch Wertvorstellungen oder ökonomische Voraussetzungen ändern sich laufend. Bauten werden immer wieder anders genutzt, umgebaut und angepasst. Architektur ist keine schnelle Mode, sondern etwas Beständiges. Sie sind Teil ihrer Umgebung und Kultur. Dorfkönige wünscht sich keiner. Nur allgemeine, öffentliche Gebäude wie Kirchen, Museen, Schulen oder Rathäuser können aus dem allgemeinen Kontext herausstechen, aber müssen in jedem Fall besonders gut angezogen sein!

Architektur ist heute aber auch immer zeitgenössisch und sicherlich nicht historisch oder historistisch. Es muss der Anspruch sein, eine angemessene, zeitgenössische Lösung für eine spezifische Bauaufgabe zu finden. Das bedeutet immer auch, dass es einen Aushandlungsprozess bracht, was an einem bestimmten Ort Sinn macht und dem gesamten Ort auch etwas bringt.

Der römische Architekt Vitruvius definierte in seinem Architekturtraktat die zentralen Aspekte der Architektur mit firmitas (Dauerhaftigkeit), utilitas (Funktionalität), venustas (Schönheit). Die Bauten sollen dauerhaft gebaut sein, die Funktionen und Bedürfnisse der Bewohner und Nutzer erfüllen und zudem auch schön sein. Dies ist auch heute möglich und gerade auch aufgrund der ökologischen Diskussionen ein langfristige Handlung.

Schwierige Beispiele

Ein missglückter Neubau ist das goldene Hotel-Ei Stilli Park in Davos (2013) von Matteo Thun und Oikios Architekten. Das Hotel ist ohne Massstab, undifferenziert als Baukörper und besitzt keinen Anspruch irgendwie Teil von Davos zu sein. Der Bau ist autistisch und könnte überall stehen. Wohnen so die neuen Könige von Davos?

Ebenfalls problematisch erachte ich das Turmprojekt für die Therme in Vals von Morphosis (2014-). Dieser Bautypus macht an hochkompakten Orten wie in New York Sinn, nicht aber in der von Abwanderung bedrohten Gemeinde Vals. Alles andere ist reine Spekulation. Im schlimmsten Fall endet das Ganze wie in San Bernardino mit dem Hotel Albarella (1976), welches am schönsten Platz des Dorfes errichtet wurde und heute als leere Hotel-Ruine ein Mahnmal einer verfehlten und spekulativen Entwicklung darstellt. Wer derart viel Geld ausgibt, der fährt auch dorthin, wo die Landschaft wunderschön und aussergewöhnlich ist wie beispielsweise nach St. Moritz. Der Hotelturm könnte überall stehen und bildet auf keinen Fall ein Zukunftsmodell.

Es entstehen leider viel zu oft keine ambitiösen Bauten in unseren Alpen, sondern mittelmässige Agglomerationsarchitektur, wie sie auch irgendwo im Schweizer Mittelland stehen. Derartige Bauwerke sind kein Beitrag für unsere Dörfer und entwickeln nichts weiter, das irgendwie Qualität hätte.

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Beispiele guter Architektur

Als gutes Beispiel hervorzuheben sind auf der Ebene der Siedlungsplanung in Chur die Siedlungen Böschengut 1 von Bearth & Deplazes (2001) bzw. Men Duri Arquints Böschengut 3 (2016-2018). Beide Siedlungen schaffen durch die Reduktion der verwendeten Materialien eine klare Einheit und eine räumlich vielfältig gegliederte Gruppe von gleichen und dennoch unterschiedlichen Bauwerken.

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Wohnsiedlung Böschengut 3, Chur, Projekt 2013, Realisierung (2016-2018), Architekt Men Duri Arquint, Foto © Men Duri Arquint Architekten

Ein Beispiel eines gelungenen Schulhauses mit Kindergarten kann das der Bau von Raphael Zuber in Grono (2011) genannt werden. Das Gebäude schafft innerhalb einer kompakten Struktur einen eigenständigen Bau mit identitätstiftendem Ausdruck. Durch seine Strenge und seine direkte Materialisierung, Fokussierung auf statischen und räumlichen Ausdruck ist der Bau trotz seines expressiven Äusseren alles andere als modisch, sondern ein Ausdruck unserer Zeit.

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Schulhaus und Kindergarten Grono, 2011, Raphael Zuber, Foto: Miguel Javier Verme

Als neuere Umbauten ist das Türalihus in Valendas der Architekten Ramun Capaul und Gordian Blumenthal (2014) durch ihre Radikalität hervorzuheben. Sie haben es geschafft den bestehenden Bau durch gezielte Eingriffe zu modernisieren, ohne dass dieser seinen ursprünglichen Charakter verliert. Gleichzeitig bildet der Bau zusammen mit dem Gasthaus am Brunnen (2014) von Gion A. Caminada den Kern einer erfolgreichen Wiederbelebung eines Dorfes.

Ein gelungener Neubau ist das neue Besucherzentrum in der Viamala (2014) von Ivano Iseppi & Stefan Kurath. Durch einen einfachen Baukörper errichten sie eine Eingangssituation zur Schlucht und eine sehenswerte Terrasse für einen Kaffee.

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Besucherzentrum Viamala, Thusis, 2014, Ivano Iseppi & Stefan Kurath, Foto: © Laura Egger

Architektonische Innovation entsteht an den Rändern

Architektonische Innovation – die Suche nach sinnvollen zeitgenössischen Lösungen – ist eine wichtige Aufgabe der heutigen Architekten. Um neue Lösungen zu finden, benötigen Architekten auch Freiräume. Dafür braucht es Platz für Aushandlungsprozesse und Vertrauen in alle Beteiligten. Dies ist in kleinräumigen Gegenden, wo sich die Personen persönlich kennen, einfacher möglich. Vermutlich deshalb arbeiten in Graubünden einige der interessantesten und innovativsten Architekten der Schweiz wie Peter Zumthor, Valerio Olgiati oder Valentin Barth und Andrea Deplazes oder die oben genannten jüngeren Planer. Sie konnten in den Dörfern Graubündens spezifische Lösungen entwickeln, die durchaus auch mustergültig für andere Orte und Gegenden sind. Diese Innovationskraft sollte vermehrt genutzt werden, um unsere Gesellschaft insgesamt zu stärken. Dieses Potential muss für die Entwicklung unserer Gesellschaft vermehrt fruchtbar gemacht werden.

Architektur ist die beständigste kulturelle Äusserung, die wir haben, weil sie direkt in unser Leben eingreift, über Generationen erhalten bleibt und Platz für unser Leben schafft. Gute Architektur soll Leben ermöglichen und dazu auch etwas elegant sein.

 

Autor

PROF. DANIEL A. WALSER ist Architekt und unterrichtet an der HTW Chur Architekturgeschichte, Architekturtheorie und Städtebau. Im Herbst 2017 startet an der HTW Chur der weiterentwickelte Bachelorstudiengang Architektur mit dem neuen Abschluss «Bachelor of Arts FHO in Architektur».

Dies ist ein Blog-Beitrag der HTW Chur.

(Bild/Quelle: HTW Chur / sponsored content)

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