Musik jenseits der Berge: «SAD – ü»

Musik jenseits der Berge: «SAD – ü»

In der Rubrik «Musik jenseits der Berge» besprechen wir in unregelmässigen Abständen Bands, die keinen oder nur einen minimalen Bezug zu Graubünden haben. In der achten Ausgabe haben wir uns mit dem neuen Werk «ü» des Berner Produzenten SAD auseinander gesetzt.

Als ich Mundart-Rap für mich entdeckte, kaufte ich jeweils Tonträger wie ein Wahnsinniger. Nicht dass es heute anders wäre, aber damals musste ich einfach alles haben. So kam es, wenn ich einen Künstler gut fand, mir alles von ihm besorgen musste und wenn ich sage alles, meine ich auch wirklich alles. Nun haben besonders Rapkünstler die Gewohnheit ihre lyrischen Ergüsse auch auf Compact Discs von anderen Rappern zum Besten zu geben. Da ich von Breitbild und Gimma schwer fasziniert war, kam ich von ihnen zu Sektion Kuchikäschtli, von Sektion zu Luut und Tüütli, von ihnen zu Modo und so weiter und so fort. Als Fan und Anhänger von Crews und Künstlern war ich immer mindestens so hungrig nach Musik, wie ich es jetzt als Musiker nach Konzerten bin. Auf meiner Expeditionen durch den Schweizer Rapdschungel stiess ich immer wieder auf einen Namen: SAD.
Was dieser Berner jedoch schuf, war jedoch kein Trauerspiel, sondern hochwertige und sehr musikalische Beats. Schnell besorgte ich mir seine Produzentenalben und entdeckte im Handumdrehen noch mehr neue, mir bisher unbekannte Rapper. Mich faszinierte wie er Rapper und populäre Musiker auf dem gleichen Lied gekonnt einsetzte. Die Künstler, die ich sowieso schon hörte, wie beispielsweise Züri West, Patent Ochsner oder Gölä. (Sorry, aber bevor er zum Schweizer Trump wurde, war der richtig gut) sangen oftmals grandiose Hooks, die Rapper liessen sich auch nicht lumpen und schrieben Strophen, die das Lied zu einer runden und kompletten Sache machten.

SAD gelang etwas, was mir seit Jahren immer ein wenig misslingt: Grenzen einreissen und Fans aus beiden Lagern vereinen. Bei mir ist es ja so: Für die Rapfans bin ich too much Rock. Für die Rockfans sollte ich am Besten gar nicht rappen. Diese genreübergreifenden Werke von SAD sind zeitlos und klingen auch beim erneuten Hören mit ein paar Jahren Abstand immer noch frisch und aktuell. Sicher ein Vorteil von SAD ist es, dass er seit Jahren mit vielen Bignames gute Freundschaften pflegt. Dies ist aber sicher nur die halbe Miete, denn der Producer hat einfach auch ein unglaublich gutes Näschen für neue Talente. So holte er sich vor zwei Jahren den Luzerner Lcone und das Churer Ausnahmetalent Ali und schuf mit ihnen mal so locker ein Top-Ten-Album. Seine Vielschichtigkeit und Flexibilität bewies er auch auf anderen Terrains. So hat er mit der Exilbündnerin Nyna Dubois zwei verzauberte Soulalben produziert, die man sich unbedingt holen sollte.

Doch zurück zu SAD, bürgerlich Sandro Durrer. In Kürze feiert die Produzentenlegende sein 40. Wiegenfest. So kommt es, dass der Berner am 11. Februar eine neue EP auf den Markt haut. Es ist mir als Kulturjournalist eine grosse Ehre, den Tonträger vorab als einer der Ersten hören zu dürfen.

Musik an, Welt aus…

11.02.2017
Das Intro der EP, ist eine Ansage. The Day has come. Kein vollwertiges Lied, aber ein Ear-Catcher. Es kann also los gehen.

Noir feat. Greis
Einer mit dem SAD seit Jahren eng zusammenarbeitet ist Greis. Hier kommen die tollen Piano-Kompositionen dem Rapper sehr gut zu stehen. Denn Greis ist ein ebenfalls sehr wandlungsfähiger Künstler, der exzellent rappen kann, aber auch mal eine berührende Melodie anstimmen kann. Hier gehts ums Gewinnen und Verlieren, wie so oft im Leben. Vom Thema schwermütig, doch dank dem filigranen Zusammenspiel der Beiden nie erdrückend. Schön!

40 feat. Gimma & ALI
Auf diese Kollabo warte ich seit ich ALI zum ersten Mal rappen gehört habe. Die Legende Gimma trifft auf den, der mit der Fackel der Bündner Sprechgesangskultur aktuell das ganze Land anzündet. Dies ist ein Gipfeltreffen, doch kein Battlerapmassaker, sondern Emotionen pur, verpackt in Truetalk auf einer balladesken und doch spannenden Komposition. Es geschieht selten, dass ich einem Künstler nach dem ersten Hören gleich ein Feedback geben muss. Doch hier musste ich ALI gleich kurz eine Nachricht hinterlassen, denn der Track ist mir mächtig eingefahren. Gänsehautfaktor hoch 7000. Der könnte Bündner Musikgeschichte schreiben.

Wenn du blibsch feat. Marash & Dave
Der Track macht mich nicht zum Fan, was vor allem an den schrecklichen Stimmverzehrungen von Dave liegt. Technisch ist das ziemlich frisch, abwechslungsreich und cool, doch irgendwie kommt es nicht zu 100% bei mir an. Geschmäcker sind eben verschieden. Der Beat ist modern, leicht elektronisch angehaucht und spannend. Wahrscheinlich bin ich aber auch noch nicht so bereit für die beiden Luzerner und SAD hat hier wieder mal den besseren Riecher als ich. Die beiden Jungs bringen dieses Jahr auch noch ein Album raus. Da werde ich sicher rein hören und vielleicht ändert sich meine Meinung wieder.

Teechocher feat. Spoiz
Oh yeah. Danke SAD, dass du den wieder ans Mikrophon gezerrt hast! Der oft unterschätzte Drittel neben Bandit und Dj Aldäwaldä von Luut und Tüütli ist immer noch sehr angenehm zum Anhören. Ziggerschlitzer sind gute Menschen und noch viel bessere Rapper. Die schöne Ode an den Winter passt zur aktuellen Stimmung wie die Faust auf’s Auge. Klingt wie ein vertontes Gedicht, feinster Storytellingrap, wie ich ihn sehr gerne mag. Und vielleicht kommt da ja bald noch mehr.
Das wäre jetzt natürlich der nackte Wahnsinn, wenn der Track hier eine Initialzündung für ein Comeback von L&T wäre. Do it boys!

Sterba feat. Nyna
Once again, back in Graubünden. Dass Nyna eine der besten Bündner Stimmen hat, ist längst kein Geheimnis mehr. Immer wieder interessant ist, wie SAD die langgezogenen Töne mit groovigen Drums unterlegt und auf eine andere Ebene hebt. Das mit denen klappt und wird uns in den nächsten Jahren sicherlich noch einige High-Class-Soul-Alben mit Bündner Stempel drauf bringen. Nyna greift wieder mal ein Thema mitten aus dem Leben auf, auch wenn es der Titel nicht so vermuten lässt. Es geht um die ganz grosse Liebe voller Hingabe. Hach, man muss sie einfach mögen, die wundervolle Nyna.

TWLWD feat. Greis
Und nochmals das lyrische Genie Greis. Soul, Weltreise, Chaos – Liebe ist vielfältig und hat tausende Gesichter. Liebe kann vom Freund zum Feind werden, weil sie so viel Macht über uns Menschen hat.
Hier kommen mal ein paar Gitarren ins Spiel. Ein Rausschmeisser für die Clubs, denn man dann aber gleich fünf Mal bis am frühen Morgen hören will. Eine tolle Geschichte voller versteckter Anekdoten, lyrisch und musikalisch.

Irgend feat. Semantik / Maurice Polo / Skor
Uh shit, Semantik habe ich schon lange nicht mehr gehört. Der spitet immer noch wie ein Boss. Ja, hier sind wir beim realen Rap angekommen. Steezo, der jetzt ja Maurice Polo heisst und Skor stehen Semantik in keiner Zeile nach. Hier wird Feuer gespuckt und SAD legt ein pumpendes Beet darunter. Yeah!

Mora meh feat. Breitbild
Dank denen kam ich ja erst auf SAD, danke an dieser Stelle. Breitbild liefert auf SAD-Alben immer wieder verdammte Hits, auch hier wieder. Ich hoffe, das geht noch ein paar Jahre so weiter und irgendwann kommt eine ganze Kompilation auf den Markt mit den besten Breitbild/SAD-Songs. Einzig ein wenig schade ist, dass auf dem Track nur gerade Hyphen und Andri Perl drauf sind. 🙁

Schlussfazit:
SAD hat sich da ein ganz anständiges Geburtstagsgeschenk zusammen gestellt. Es zeigt einen Teil der Breite seines Schaffens, welch ein Gespür er für Hits und neue Talente hat und wie detailverliebt er musikalische Nuancen setzten kann, die einem dazu verleiten, die Lieder repetitiv zu hören. SAD kann was und wird hoffentlich auch mit 40 noch viele Meisterwerke produzieren. Die EP beinhaltet viel Bündner Musik und zeigt besser als jeder Sampler, dass Graubünden im urbanen Sektor locker vorne in der Hitparade mitspielen kann.

 

 

Mehr Infos zu SAD unter www.sadmusiq.ch

author

Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.