Bluemoon’s Blog: Archivperlen – Das Ende der Sehnsucht Teil 10/13 (2006)

Bluemoon’s Blog: Archivperlen – Das Ende der Sehnsucht Teil 10/13 (2006)

Kürzlich durchforstete ich mein Archiv und fand darin unverwendete Perlen. Nun werde ich in unregelmässigen Abständen hier auf GR Heute, Geschichten, Gedichte und anderes Chrüsimüsi publizieren. Mit 18 schrieb ich ein Buch, druckte es als ich 20 wurde 50 Mal und wenig später verschwand es dann wieder von der Bildfläche. Nun möchte ich es euch hier nicht vorenthalten. Diese Perle hier stammt aus dem Jahre 2006. Viel Spass damit!

 

Am nächsten Tag ging die Reise weiter. Ein paar Tage später hielten sie irgendwo in einem kleinen Dörfchen noch ganz am Anfang von Spanien.
Es war sehr idylisch dort und Naeco liebte die zärtliche Ambiance, die die zauberhaften Landschaften in seinem Herzen hinterliessen. Er hatte tausende von Songideen in seinem Kopf und er wünschte sich ein paar Wochen in diesem kleinen Dorf zu verweilen, um ein wenig Reflexion walten zu lassen.
Angelina war dies auch recht. Sie machte sich schon lange Sorgen um ihr Puppengesicht und dessen eventuell verblichene Schönheit.

Naeco wunderte sich über die grosse Gastfreundlichkeit der Spanier, obwohl Angie und er doch Fremde waren, bot man ihnen eine ein wenig unhygienische, dafür geschenkte Unterkunft an. Irgenwie genoss Naeco es, ein wenig ein Schwein zu sein und nicht mehr mit diesen Chemieprodukten sich und die Natur zu verschandeln. Er wusch sich nun mit nackter Hand wie ein Kind und hatte eine Heidenfreude daran. Er hatte zurück zu seinen Wurzeln gefunden und spürte dabei grenzenlose Befriedigung.

Ganz anders Angelina. Sie hatte stark Mühe, sich diesen tiefen Lebensstandarts anzupassen. Sie hasste es, nicht täglich eine Stunde im Badezimmer stehen zu können und sich mit Make Up und Schmuck zu bewaffnen. Klar trug sich stets nur ganz dezent wenig Schminke, aber dieses bisschen fehlte ihr sehr. Obwohl Naeco sie am sie am liebsten ganz pur und ohne Verzierungen, mochte sie sich so überhaupt nicht. Doch sie sagte ihm nichts, da sie ihn nie im Leben verletzten wollte.

Schliesslich waren die Beiden mit ihrer Liebe auf ihrem absoluten Höhepunkt angekommen. Alles, was jetzt kam, war nur noch Zugabe, die beide aber mit offenen Armen empfangen würden. Für Angelina war da jetzt irgendwie ein Tief, das sie als Afteroceanblues deutete, der aber sicher bald wieder vorübergehen würde. Die letzten paar Wochen waren für sie sehr anstrengend gewesen, hatten ihr viel gegeben, sie aber auch stark ausgelutscht. Doch sie steckte alle Erwartungen in Naeco und war mehr als gespannt, was die nächsten paar Wochen bringen würden.
Naeco plauderte fleissig mit den Einwohnern, obwohl er kein einziges Wort Spanisch verstand. Doch wie sagte man doch so schön: „Ein Lächeln sagt mehr als tausend Worte.“ Er konnte stundenlang mit ihnen lachen und sich Songs von ihnen beibringen lassen, genau wie er ihnen auch seine besten Licks zeigte. Naeco lernte von ihnen gefühlsvolle spanische Folklore, während er ihnen seine und irgendwelche Mainstreamsachen beibrachte. Mein Gott, hatten diese Typen eine Freude an einem „Wonderwall“.
Diese Leute liebten die Musik richtig und praktizierten sie nicht bloss wegen des Geldes. Diese Mentalität schätzte Naeco sehr. Gut, sie waren vielleicht technisch nicht auf seinem Level und doch hatten sie das Potenzial gefühlvollere Songs als er zu schreiben. Allgemein waren sie glücklicher, obwohl sie weniger hatten als er. So wollte Naecoo auch sein. Die wichtigen Sachen im Leben schätzen und nicht Geld.
Ja, wirklich echt zum Bewundern diese sonnigen Gemüter. Den Rhythmus im Blut, den Pfeffer so oder so auch und das eigene Glück klar in der Hand. Das, was er hier bekam war nichts, was man mit Geld hätte zahlen können. Es war nicht so wie wenn man bei ihm zu Hause zusammensass und einen trank. Nein, hier war Ambiance da, hier gab man und nahm man, so dass jeder für sich den grössten Nutzen daraus ziehen konnte. Naeco erinnerte sich an Begegnungen aus der fernen Vergangenheit. Die „guten Freunde“ , die er hatte, kamen jeweils zu ihm und luden alle ihre Sorgen bei ihm ab, wie wenn er ein Müllplatz wäre, was ihn jeweils sehr verzerrte. Immer nur geben und seine eigenen Sorgen und Probleme schlucken zu müssen, war nichts mehr für ihn. Immer wollten alle an seiner sozialen Ader anzapfen und von seinen guten Tipps für sich das Beste absaugen.

Doch nun war ja dies vorbei. Hier war es schlichtwegs perfekt und voll von Liebe. Als der Himmel zu brennen begann, verabschiedete er sich und ging zu seinem Engelein heim.
Das Ganze ging so weiter, wie lange wusste Naeco nicht mehr so richtig, da er seine Uhr einem kleinen Jungen verschenkt hatte. Er war sehr, sehr glücklich. Die Einwohner liebten ihn und feierten mit ihm von früh morgens bis spät in die Nacht. Eine riesen Fete, doch Angelina stand irgendwie immer nur daneben. Naeco erlernte ihre Sprache prächtig schnell und war mächtig stolz darauf. Eines Abends lagen sie in ihrem leicht gemachten Bett und Angie sprach mit gedämpfter Stimme zu ihm: „Naeco, lass uns gehen!“
„Was!?! Abhauen?“
„Ja, genau… Du wolltest ja reisen und nicht an einem Ort bleiben.“
„Ja und was ist damit?“
„Ich wünsche mir zu gehen, Naeco!“
„Aber Baby, es ist doch hier so schön und friedlich.“
„Aber…“
„Wieso aber? Überleg dir mal, was die Leute sagen werden. Die werden uns hier festhalten und fast zerreisen, wenn wir gehen wollen.“
„Aber man sollte doch genau dann aufhören, wenn es am Schönsten ist.“
„Ja schon, aber…“
„Bitte, lass mich aussprechen!“
„Ok.“
„ Ich habe alles aufgegeben, um mit dir mitzukommen und jetzt habe ich kein Wort mehr zu sagen?“
„Oh…“
„Ja, ist das nicht ein wenig unfair von dir?“
„Doch und wie…“
„Naeco, ich bin eine Frau und kein Spielzeug von dir.“, sprach sie schluchzend mit Tränen in den Augen.
„Hey, es tut mir leid.“, sagte er tröstend.

Das war es wieder: Wenn eine Frau zu weinen beginnt, ist ein Mann machtlos und nicht mehr im Stande ein intelligentes Wort zu sagen.

Doch Naeco fasste sich ein Herz und versprach ihr morgen weiter zu ziehen. Sie schlief befriedigt ein, er brachte kein Auge zu. Schleierhafte Gedanken benebelten seinen Kopf. Er stand auf, packte alle Sachen ins Auto, ausser der Gitarre, welche er Rinaldo, dem Freund, den er vermissen wird, vermachte.
Um vier Uhr in der Nacht weckte er Angelina und sie hauten ab. Normalerweise sollte man nicht betrunken fahren, doch bei ihm war dies ein Ausnahmefall, den er fuhr, weil er besoffen vor Liebe war.
Mit schwerem Herzen und einem Loch in der Seele verliess Naeco das Dorf, dass er so sehr liebte und wo er sich zu Hause fühlte.
Er schrieb halbherzig in sein Buch:
Meine Heimat ist dort, wo ich noch nie gewesen bin.

Alles erschien ihm wie einer dieser Märchenträume, in denen man jeden Sekundenbruchteil die Gefühlslagen wechselte und sich doch immer auf einem Highlevel befand.
All diese neuen Gerüche und Landschaften, die an seinem halboffenen Fenster wie Schwalben im Sommer vorbeiflogen. Alles zu gut, um wirklich wahr zu sein. Nach drei oder vier Tagen wollte Naeco unbedingt nach Amsterdam gelangen.
Doch er merkte nachdem er einen Einheimischen gefragt hatte, dass Amsterdam gar nicht in Spanien lag.
Schade eigentlich… Wenigstens waren sie an einem Fussballstadion vorbeigedüst und Naeco befriedigte der Gedanke, dass es dasjenige vom FC Barcelona war, sehr. Er wusste es nicht so richtig, doch er glaubte stark daran, da auch noch die Oberschnulze mit dem gleichnamigen Titel von Freddy Mercury im Radio lief. Es konnte also gar kein Zufall gewesen sein.
Jedoch Zeit nachzusehen, hatte er keine. Er wollte ans Meer und nichts mehr als dies.

Ganz anders als Angelina. Sie wurde regelrecht von ihrem Heimweh zerfressen und litt an irgendeiner Sommergrippe. Sie konnte einfach nicht mehr. Ihre Traumfahrt war zu einem Höllentrip geworden. Sie hatte zu lang bei einem Spiel mitgespielt, dessen Regeln sie nicht kannte und dessen sie überdrüssig war. Während Naeco aus dem Vollen schöpfte, nippte Angelina an leeren Flaschen.
Je weiter sie von zu Hause wegging, desto näher fühlte sie sich der Heimat. Es musste was geschehen.
„Naeco,“ oh er kannte diesen Tonfall nur zu gut. „Ich muss dir was sagen.“
„Was denn?“ , antwortete er am Abgrund stehend und von Schuldgefühlen zerfressen.
„Ich möchte zurück… nach Hause, nicht to the roots. Ich habe genug gesehen und will endlich wieder gehen; hast du kein Heimweh?“
Naeco total Erschrocken: „Mein Gott, nein nicht wirklich, da ich erneut auf der Suche nach meiner Heimat bin.“
„Aber…“
„Ja, hör mir zu, Angelina. Ich habe schon lang bemerkt, dass du dies willst.“
Er hatte sein Auto angehalten und sah ihr nun tief in ihren Augen.
„Kurz bevor wir im spanischen Dorf angekommen sind, habe ich es bemerkt. Du brauchst nichts mehr zu sagen; ich weiss schon alles. Es mag idiotisch klingen, aber du hast mir das alles schon erzählt, als du im Schlaf geredet hast.“
Angie stand neben den Schuhen.
„Ich dachte anfangs, dir würde ein Zwischenstopp in Spanien gut tun und du würdest deine Meinung nochmals ändern. Doch leider war dies nicht der Fall.“
„Naeco, liebst du mich?“
Jetzt konnte er ihr plötzlich nicht mehr in die Augen sehen.
„Ich…“
„Was?!?“
„Ich… Ach, was willst du hören?“
Angelina broch in Tränen aus.
„Ach, bitte hör auf. Ich kann einfach nicht lügen…“
„Aber…“
„Ja, es war eine schöne Zeit mit zu vielen Gefühlen und meine sind wieder, vielleicht leider weg. Aber ich brauche dich!“
„Ja, für was denn? Ficken und so?“
„Nein, du erhälst den Traum von Freiheit und vom Fliegen der Gedanken am Leben.“
„Ist das alles? Wegen dem schleppst du mich um die halbe Welt?“
Naeco ein wenig resigniert:
„Nein, es ist viel mehr. Wie soll ich’s sagen? Ach, es ist so strange. Ich brauche deine Wärme, deine zeigende Hand.“
Nun hatte auch er Tränen auf seinen Wangen.
„Ich bin schwer enttäuscht von dir, Naeco!“
„Aber warum denn?“
Naeco fasste sich wieder ein wenig: „Alles kommt doch immer so. Nichts ist für die Ewigkeit und nichts ist immer da. Man kann selbst entscheiden, wie lange man dieses Spiel weiterspielen will. Man kann alles hinauszögern. Gewisse Menschen können dies ein ganzes Leben lang, ohne schlechtes Gewissen. Doch mir bekommt das nicht.“
„Warum sagst du so was? Du machst doch alles kaputt, was wir miteinander hatten.“
„Das bin nicht ich, sondern der Lauf der Zeit.“
Angelina schluchzte und weinte. Noch zwei Stunden herrschte eine eiserne Stille zwischen ihnen, während der Weiterfahrt.
Weitere fünf Stunden später stieg Angelina irgendwo in Portugal aus. Naeco reichte ihr das letzte Geld, dass er noch hatte. Es war nicht viel, doch es musste gerade noch reichen für ein Flugticket nach Hause. Jedoch musste dies ja nun nicht mehr seine Sorge sein.
„Danke, bye!“
„Tschüss.“, waren die letzten Worte, die die Beiden miteinander gewechselt hatten, trocken und gefühlslos, wie bei einem Tramper und einem Fahrer. Hier war ihr gemeinsamer Weg zu Ende.
Es juckte beide und doch dachten beide, es wäre das einzig Richtige für sie.

Ein paar Tage oder Wochen später kam Naeco an der portugisischen Küste an. Nach einem halben Tag fand er einen Abnehmer für sein Auto, der ihm genug zahlte, damit er die grosse Überfahrt nach Amerika zu finanzieren vermochte und eventuell noch ein paar Tage davon leben konnte. Er hatte somit wieder Geld und gönnte sich gleich einen weniger genialen Café, jedoch den ersten Luxus seit langem und von dem her mehr als nötig.
Er lebte gleich wieder auf. In wenigen Stunden werde sein Schiff gehen und er freute sich sehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu Gesicht zu bekommen.

Es lag ein Duft von Freiheit in der Luft, der unwiderstehlich ihm entgegen winkte und ihn zu verführen suchte. Auf dieses Spiel liess er sich natürlich gerne ein. Denn es hatte etwas rebellisches an den ganzen Geschichten des Wegrennens. Obwohl man dabei seine Wurzeln verliert, hat man doch genau darum die Chance neue Wurzeln zu finden und ihr Blut in die eigenen Adern fliessen zu lassen.
Nein, Naeco verschluckte alle Zweifel und schritt mit Stolz geschwellter Brust auf das riesige Schiff. Seine sieben Sachen waren inzwischen auf vier Sachen geschrumpft.
Den Rest hatte er liegen gelassen oder armen Leuten verschenkt. Ein Bettler war so nett und hatte ihm seine Wandergitarre geschenkt, was ihn sehr zufrieden stimmte.

Ach, das Leben auf See war einfach wundervoll. Naeco hatte das Glück nicht seekrank werden zu können. Es war eine riesige Überfahrt von einem Kontinent in den anderen. Eine Welt entfernt, war auf einmal so nah und so erreichbar. Die Luft war kühl und feucht und der Geruch in ihr einfach unbeschreiblich rein und voll und ganz Natur pur. Die Wellen schlugen gegen das Schiff und das Schiff schaufelte sich seinen Weg durch die Wellen, zärtlich und doch auch progressiv. Naeco liebte es auf dem Backbordrand zu stehen und hinaus über das unendliche Blau zu sehen. Das war nun die Freiheit und er konnte sie mit Worten doch nicht erfassen. Freilich war er nicht schiffskrank, doch um so mehr lebens- und liebeskrank. Oft flüsterte er spät in der Nacht draussen auf dem Heck zum Meer; fragte es, ob es doch nicht seinen ganzen Kummer ertränken möge. Die grosse See hatte etwas fesselndes, magisches, das ihn nicht mehr los liess und ihm ein wenig Hoffung gab. Er vermisste Angelina sehr. Er wusste nicht warum, er sie losgelassen hatte; jetzt wo er sie am meisten brauchte. Das traurige an der Liebe ist, dass man sie oft erst spürt, wenn sie verflossen ist. Tragisch, aber wahr. Doch nun konnte er nichts mehr ändern. Er musste sein Schicksal in die eigene Hand nehmen. Eigentlich hatte das Alleinsein auch positive Seiten an sich, denn er konnte nun wieder viel einfacher schreiben, hatte keine Blockaden mehr, denn es war für ihn immer einfacher mit Blut und Tränen zu schreiben als mit Tinte.

Sein Bett war wieder sein allein und er war wieder sich selbst, der die rosarote Brille abgesetzt hatte und wieder klar sah. Es war gut für sein Buch auch ein wenig düstere Seiten des Lebens aufzuzeigen. Naeco war so oder so stets ein besserer Schriftsteller, wenn er sich einsam fühlte. Noch viel schneller als er dachte, sprach er wieder mit seinem alten Freund dem Mond. Mit dem Meer und dem Mond hatte er zwei solide Ansprechpartner gefunden, die ihn immer zu trösten vermochten. Dann war er da. „Hallo Amerika. Nimm mich und ich nehme dich.“, schwirrte ihm durch den Kopf.

Er setzte sich in irgendwelche Cafés und begann mit wildfremden Menschen zu quatschen. Naeco hatte mehr Interesse daran andere Schriftsteller kennen zu lernen, als obligatorischen Touristenführungen beizuwohnen. Sehr schnell lernte er andere Künstler von verschiedensten Genres kennen, die ihn inspirierten und seine Freunde wurden. Sein bester Freund und Weggefährte wurde ein gewisser Tama, der karrieremässig auf dem gleichen Level wie er sich bewegte.

Seine Mutter war eine Schweizerin und sein Vater ein heimatsuchender Weltenbummler, was ihm den neuseeländischen Namen und den Wohnort bescherte. Zusammen schrieben und diskutierten sie stundenlang, wie man nun ihre beiden Debütanten am besten zu Ende führen könnte. Ihre Freundschaft wurde über die Wochen zu einer Bruderschaft, dessen Bann niemand zu brechen vermochte.

author

Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.