Tourismus.Total: Der kleine Schneemann Nio

Tourismus.Total: Der kleine Schneemann Nio

Meine wohl erste Kindheitserinnerung ist ein Schneesturm Ende der sechziger Jahre auf der alten Bergstation des Sesselliftes auf Nagens. Wenn in ruhigen Minuten meine Gedanken zu meiner Heimat Flims fliegen, höre ich noch wie der Wind um die alten Steinmauern der Bergstation Nagens heulte. In der Nase liegt mir noch der Geruch von Diesel und Öl, das von den mächtigen Motoren der Sesselbahn stammt. Und, als ob ich noch vor der Bergstation in eine warme Wolldecke eingemummelt im Arm meines Vaters sitzen würde, spüre ich auf meiner Haut die Wärme der ersten Sonnenstrahlen, die sich an den verschneiten Spitzen der Tschinglhörner brechen. So sehne ich mich jedes Jahr auf die Winterzeit. Auf die Zeit im verschneiten Bündnerland.

So freute ich mich im Herbst 1993 umso mehr, als ich am Eisschrank der Familie Hugentobler in Basel ein Foto meiner Tschinglhörner entdeckte. Im Vordergrund des Bildes war vor der Bergstation Nagens eine Skilehrerin mit Babette zu sehen. Die Tochter der Gastgeberfamilie. Wir waren gerade am Herrichten des Nachtisches, als mir aus dem Tiefkühlfach des Eisschrankes ein kecker kleiner Schneemann entgegen lugte. Stolz erklärte mir Babette, dies sei Nio, er wohne seit letztem Winter bei ihnen im Tiefkühlfach. Als ich anmerkte, dass ich das Gefühl habe, Nio würde sich zwischen den Fischstäbchen und Mövenpick Eis etwas einsam fühlen, meinte Babette, es würde ja schon bald wieder Winter und dann dürfe Nio mit zur Skischule. Wie ich etwas später von der Mama von Babette erfuhr, ist Nio ein Mitbringsel aus der Skischule Flims. An einem Schlechtwettertag hat die Skilehrerin Annina wohl mit den Kindern im Skiunterricht kleine Schneemänner gebaut. Babette konnte sich nicht von Nio trennen. So haust Nio nun schon über 9 Monate in einem Tiefkühlfach der Familie Hugentobler im Exil in Basel.

Ob die Familie Hugentobler aus Solidarität zum kleinen Schneemann Nio wieder nach Flims in Skiurlaub fuhren – oder weil dort so überaus engagierte Skilehrer arbeiten, ist mir nicht bekannt.

Hingegen ist es weder im Marketing noch in der User Experience kein Geheimnis mehr, dass gerade solche Kindheitserinnerungen dazu beitragen, dass Familien an den Ort zurück kehren, wo die positiven Erlebnisse ursprünglich verortet sind. Oder erinnern Sie sich noch an die Plakatwerbung für die Urlaubsorte, an welchem sie als Kind die Ferien verbrachten? Ganz ehrlich? Ich nicht. So sind es oft die kleinen Dinge, die mehr bewirken als grosse Marketingbudgets. So wie der kleine Schneemann Nio, der mit seinem verschmitzten Lachen aus dem Tiefkühlfach heraus ein Jahr lang die gesamte Familie Hugentobler an die schönsten gemeinsamen Momente im Jahr erinnerte. Dies kann aber auch eine unkonventionelle Dienstleistung einer Skilehrerin sein, die bis ins erwachsene Alter nachhallt. Mit dem Argument, dass das Bündnerland der geeignete Ort für kreatives Schaffen sei, locken derzeit zahlreiche Angebote von verschiedenen Coworking Offices Unternehmen aus ganz Europa zu uns ins Bündnerland. Was für andere gut sein soll, kann für uns doch genauso gelten. Wieso also als Chef oder Teamleader nicht einmal im Monat seine Mitarbeiter an einen aussergewöhnlichen Ort zum Bier einladen um über aussergewöhnliche zielgruppengerechte Services und Dienstleistungen nachzudenken. Zum Beispiel über einen Spielkameraden für Nio. Willkommen im Tiefkühlfach.

//wp.grheute.ch/2016/01/30/tourismus-total-auf-grheute-die-expertenrunde/6/" target="_blank" rel="noopener">Ditti Bürgin-Brook, Creative Producer bei der La Siala Entertainment GmbH («Schellen-Ursli»).

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Ditti Buergin-Brook

Kolumnist Tourismus
Creative Producer bei der La Siala Entertainment GmbH («Schellen-Ursli»). Ehemaliger Studiengangsleiter HTW Chur (Multimedia Produktion und Journalismus), Dozent an den Hochschulen München und Berlin, u.a. in Kulturmanagement, sowie Dozent für Filmproduktion an der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam.