Plattenkritik: No Future in neuen Sphären

Plattenkritik: No Future in neuen Sphären

Über Weggefährten zu schreiben und diese vielleicht sogar noch kritisieren zu müssen, ist mir immer schon schwer gefallen. Doch schauen wir, bevor wir den neuen Longplayer von No Future bewerten, zuerst in den Rückspiegel.

Es war zwischen 2006 und 2007, als ich erstmals von No Future hörte. Ich hatte deren Schlagzeuger Armin Candrian auf einer Musikerzusammenkunft vom Verein Bündner Musikszene kennengelernt. Der Verein hatte damals Grosses im Sinn und wollte mit seiner frischgewonnenen Motivation und neuem Team mit alten Traditionen brechen und die Musikszene Graubünden komplett neu aufstellen und auf Vordermann bringen. Im Rückblick gesehen waren die Ideen der Organisation um Curdin Cadient gross, die Umsetzung und der Biss fehlte, so dass viele der üppigen Zukunftsvisionen rasch versandeten und der Verein sich heute hauptsächlich auf die oft kritisierten Konzerte im Stadtgarten am alljährlichen Churer Fest konzentriert.

Der grösste Verdienst des VBMs in meinen Augen ist das Verknüpfen von diversen Komponenten der Bündner Musikszene, bevor es Facebook und andere soziale Medien gab. Für diesen Vermittlungsdienst bin ich, auch wenn ich wahrscheinlich niemals als Headliner am Churer Fest rocken werde, heute noch sehr dankbar.

Durch dieses Connecten mit Armin von No Future und vielen weiteren entstanden Freundschaften, die bis heute anhalten und mich dann 2008 auf eine glorreiche Idee brachten. Ich erfand mit geliehenen Namen die Kompilationserie Bock uf Rock. Auf dieser CD versammelte ich erstmals alle angesammelten Freunde aus der Szene Graubünden, qualitativ vielleicht nicht auf dem besten internationalen Level und doch voller Spielfreude und einer unglaublichen Leidenschaft. Hach, was war das für eine grossartige Zeit!

Speziell an der ersten Bock uf Rock war neben der dummen Idee meinerseits das komplette Booklet mit Danksagungen zu füllen, die zwei Songs «Wohri Fründschaft» und, ihr könnt es ahnen, «147 Täg». Der Überhit über die harten Tage im Militär machten die CD auf Knopfdruck zu einem Must-Have und stellte von den Verkaufszahlen her auch rasch den Skalanda-Sampler in den Schatten.

So kam es, dass No Future mir regelmässig regelrechte Hits als Sahnehäubchen überliessen und auf praktisch jedem Tonträger der Bock uf Rock-Serie vertreten waren – und durch ihr blosses Vorhandensein auf den CDs andere Künstler aktiv mitzogen und förderten.

Nun im Hier und Jetzt haben sich die Fakten recht geändert, meine Bands Virus of the Cactus, Insomnia Rain sowie auch die ganze Kompilationsgeschichte liegen in den Akten und stauben langsam vor sich hin. Die letzten Überlebenden meiner Sturm und Drang-Zeit im Bündner Rockkuchen heissen No Future und haben mal kurzerhand wieder eine exzellente Platte gezaubert.

NoFutureGross

Die Band ohne Halbwertszeit startet mit total neuen, bisher ungehörten Facetten ins Album (Üsi Welt), legt in feinster Modern-Rock-Manier nach (Tears in Paradise), nur um ein Lied später die Militär-Trilogie mit einer Ode auf die Freiheit glanzvoll abzuschliessen. (Mi-Lit-Där aifach nit)

Es geht grandios weiter, uptempo geladen, punkig angehaucht, jedoch nicht ohne das Gespür für die grossen Melodien verloren zu haben. Der Mittelteil des Longplayers mit den zwei ruhigen Momenten (Tüfi Schluchta/Melodie) animieren zum Chillen, lassen einen kurz mitleiden und entlassen einen dann doch hoffnungsvoll und beflügelt in die nächsten Lieder.

Der quotenromanische Track kommt diesmal nicht so witzig rüber wie die «Henrietta» und  doch fügt sich «Lai Suandar» ideal ins Albumkonzept ein und läutet das furiose Finale ein. No Future mixt Bündner Mundart mit Englisch und Romanisch. Sehr galant, wie sie Reggea, Pop, Punk und Rock in einen Topf werfen und zu einem Hit-Potpourri formen.  Wirklich einziger Minuspunkt sind die englischen Texte von Samy Schmid, welche ab und zu doch relativ simpel rüberkommen, doch die neu eingesetzten Keyboards, die besser ausgeklügelten Arrangements und die gereiften Songs machen diesen Umstand locker wett.

Fazit: No Future sind, abgedroschen gesagt, mit dem neuen Tonträger erwachsen geworden und legen ein kompaktes Album vor, welches klassischen No Future-Sound mit neuen musikalischen Experimenten solide verbindet. Schön anzuhören, dass es in Graubünden so kreativ zu und her geht und hier ein kleines Stück Bündner Mundartgeschichte zelebriert wird. Die tolle Produktion muss sich dem nationalen Vergleich nicht scheuen und klingt brilliant.

 

author

Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.