Bündner Perlen: «11am – Bittersweet Tragedies» (2009)

Bündner Perlen: «11am – Bittersweet Tragedies» (2009)

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie. Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben.

Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

Lange bevor dieses Album rauskam, war ich fasziniert von der Band 11am. Ich hatte mir ihre Debüt-EP zufällig im Manor gekauft und war angefressen von dieser, damals noch als Trio fungierenden, Band. Die EP hatte zwar nur eine Hand voll Lieder, doch die Songs haben mich sofort fasziniert, mit dem unglaublichen Groove und dem kreativen Songwriting des kongenialen Trios Ervin Janz, Yves Zogg und Rolf Caflisch.

Das war so um 2006/2007 und ich wurde das erste Mal überhaupt von einer Bündner Band, neben May Day vielleicht, ein richtig grosser Fan. Richtig Fanboymässig sammelte ich damals ihre Zeitungsausschnitte. Sie waren dank dem Contest «Battle of the Bands» oftmals mit grossen Stories in den Medien vertreten und ich hatte all diese Ausschnitte zu Hause in einem Schrank aufbewahrt. Also wurde ich bald Stammgast an den zukünftigen Konzerten der Band und war fasziniert wie sie epische Breitbandlieder live präsentierten. 11am war von Anfang an eine hypersympathische Band, Stars und Vorbilder zum Anfassen. Bis heute habe ich keinen besseren Rockdrummer, als den Jazzer Rolf Caflisch live gesehen. Genau so wollte ich einmal sein, obwohl ich schon damals dran zweifelte, dass ich jemals so gut Schlagzeug spielen würde. Dass die drei Herren schon damals das Sahnehäubchen auf dem Nippel der Bündner Musikszene waren, war allseits bekannt. Ein anderer Faktor, der mich aber noch viel mehr begeisterte, war dass man mit ihnen ganz normal sprechen konnte. Sie kannten ihre Wurzeln, haben auch irgendwo mal angefangen und begegneten mir auf Augenhöhe. Kein egozentrisches, überhebliches Gefasel, sondern Animation zum Weitermachen und Respekt für bisherig Geleistetes, kam mir von ihnen entgegen. 11am war der grosse Headliner auf meinem Kompilationdebüt «Bock uf Rock» (2008) und ich kam aus dem Grinsen nicht mehr raus. Denn ab sofort waren sie praktisch auf jedem meiner Sampler wieder drauf und lieferten verdammte Hits.

Dann im Jahre 2009 war es endlich soweit. Der erste Longplayer meiner Lieblingsrockband aus Chur stand in den Läden. Das Cover war fesselnd und einfach nur heiss. Das hätte ich mir damals noch so gerne als A2-Plakat ins Zimmer gehängt. Doch nicht nur optisch machten die Jungs mit ihrem Debüt einiges besser, auch musikalisch kam das inzwischen um Alexander Müller erweiterte Quartett noch wuchtiger und lauter daher.

Nur schon der erste Track «I Love the way» blies mir jeglichen Staub aus den Ohren und bestätigte mich als Fan. Mit dem neuen Gitarristen waren 11am noch ein weniger härter, da der Axl ja auch im Metalbereich damals schon kein unbeschriebenes Blatt mehr war. Dann kam die Single «Bleed», die ich als (Achtung, Jammern auf hohem Level) eine der lauwärmsten Nummern von 11am niemals als Video ausgekoppelt hätte. Beim Rest der CD folgte dann Hit an Hit, grosse Neuinterpretationen von 11am-Evergreens mit «There» und «Save my soul» und einfach ein rundes Werk, welches mit viel Leidenschaft und Liebe zum Detail produziert wurde.

Die CD erschien und irgendwie passierte wenig bis nichts. Es gab keinen Charteinstieg, keinen Hype und ich war ein wenig enttäuscht, welch schlechten Musikgeschmack die Schweiz doch hatte. Ich verstand es nicht wirklich. Hier hatten wir eine Bündner Band, die einige internationale Bands locker kompositorisch überboten hat und doch reichte es irgendwie nicht. War ich so dermassen falsch gewickelt oder hatte ich einen komischen Musikgeschmack? Ich verstand es nicht, wieso die Menschen nicht massenhaft dieses bittersüsse Stück Bündner Musikgeschichte kauften. Da war dieser Song «Hold me if you can», die Bündner Überballade, die für mich auf jede Best of Bündner Musik-CD gehört. Nur schon, dank dieser Radionummer hätte es chartmässig abgehen sollen. Die Kritiker der Medien lobten die Platte hoch. Dann waren sie noch bei Aeschbacher, doch die von mir erwartete Explosion, die 11am verdientermassen zu schweizweit bekannten Stars machte, blieb aus.

Nun ja, ein paar Jahre später läuft der Soundtrack meiner ersten Jahre als Erwachsener immer noch regelmässig in meiner Stereoanlage, doch ich ärgere mich nicht mehr darüber, dass die Band nie den verdienten Erfolg erfahren durfte, den ich ihnen gewünscht hätte. Ich freue mich nun viel mehr, dass ich ein Teil von etwas sein durfte, dass nicht jeder kannte. Quasi mein eigener kleiner Geheimtipp, der auch Jahre später verdammt frisch und international klingt. Inzwischen ist Bassist Yves Zogg erfolgreicher Pianist bei den Busingers (Band von Breitbild) und Dabu Fantastic. Gitarrist Alexander Müller arbeitet wieder an Hits im Untergrund, die vielleicht bald an die Oberfläche gespült werden. Schlagzeuger Rolf Caflisch hat sich einen Namen gemacht, mit seinen Weekly Jazz Events und ist inzwischen Kulturpreisträger. Das Sprachrohr Ervin Janz, der als Gitarrist, Pianist, Sänger und Komponist bei 11am fungierte, ist inzwischen auch noch Schauspieler geworden und hat gemeinsam mit Nikolaus Schmid das Programm «One-Hit-Wonder» auf die Beine gestellt und manche Säle komplett ausverkauft mit ihrer Musik-Comedy. Ich denke mir heute, es ist krass, dass ich sie damals noch als Kollektiv auf einer Bühne erleben durfte, denn jedes Konzert war noch epischer als das vorherige.

Nach dem Wahnsinnsdebüt, erschien dann ein zweites Album mit neuem Drummer, was leider meiner Meinung nach nicht an die Genialität und das ungeheure Zusammenspiel des Debüts anschliessen konnte. Ich erfüllte mir dann 2013 den «Buabatraum» und trat mit meiner damaligen Band Insomnia Rain als Support-Act meiner Helden bei ihrer Plattentaufe zu «Time to follow» auf. Seit guten zwei, drei Jahren ist die Band nun auf Eis gelegt, was ich sehr schade finde, doch das ist nun mal der Lauf der Zeit.

Ich schnippe immer noch mit, wenn «Bittersweet» läuft und erinnere mich leicht nostalgisch an den genialen Sommer 2009 mit den vielen magischen Momenten und dem perfekten Soundtrack der Churer Musiklegenden. Wunderschön und unvergesslich war’s.

 

(Bild: )

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Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.