Quo vadis, Italia?

Quo vadis, Italia?

Der wöchentliche Blick von Franco Membrini auf einen Brennpunkt der «Welt heute».

Am 4. Dezember entscheiden die italienischen Wähler über die Verfassungsreform von Premier Renzi. Für das Land und ganz Europa steht aber wesentlich mehr auf dem Spiel als eine politische Umstrukturierung.

Matteo Renzi versprach, das politische System Italiens von Grund auf zu erneuern. Dieses Versprechen will der Premier nun in einem Verfassungsreferendum umsetzen, welches tiefgreifende Reformen vorsieht. So soll der Senat, welcher die Regionen repräsentiert (vergleichbar mit dem Ständerat) beinahe vollständig entmachtet werden. Das Zweikammersystem der italienischen Republik soll also abgeschafft werden und Gesetzesentwürfe künftig nur noch der Abgeordnetenkammer vorgelegt werden. Die Reform endet aber nicht in Rom. So sollen die Provinzen ganz aus der Verfassung gestrichen und die demokratischen Anforderungen für Referenden und Gesetzesvorschläge erhöht werden.

Eine Reform der italienischen Verfassung scheint dringend notwendig. Nicht nur weil das Verfassungsrecht auf der Apenninhalbinsel seit fast 30 Jahren stillsteht, sondern vor allem weil das träge und aufgeblähte System endlich eine Abmagerungskur nötig hätte. Die gleichberechtigten Kammern in Rom verbringen die meiste Zeit damit, Gesetzesentwürfe hin und her zu schieben und liefern sich so kontraproduktive Machtkämpfe. Trotzdem ist der Widerstand gegen die Reform breit abgestützt und reicht von einem Extrem des politischen Spektrums zum anderen. Bemerkenswert ist aber vor allem, dass auch angeblich liberale Kräfte wie die Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi  oder die Unione di Centro Mitglieder des Comitato per il No sind.

renzi
Matteo Renzi.

Die Gründe für die massive Opposition gegen die Reform sind so vielfältig wie ihre Mitglieder. Einig ist sich das Comitato per il No allerdings in der Sache, dass die Versprechen der Regierung nicht ernst genommen werden können. Die Behauptungen Renzis, die Reform führe zu einer Effizienzsteigerung des politischen Entscheidungsprozesses sei schlicht nicht zutreffend, die Verfassung werde viel mehr untergraben als reformiert, heisst es. Renzi kommentierte selbst: «Wir stehen an einem Scheideweg. Diese Reform ist ein Zug, der erst in 20 Jahren wieder vorbeifährt. Wir haben uns wahnsinnig angestrengt, um eine Reform zu verabschieden, die Italien vereinfacht und modernisiert. Uns steht eine Zukunft bevor, in der Italien wieder eine Protagonistenrolle spielen kann.» Der Ausgang der Reform hat zumindest Auswirkungen auf die Protagonistenrolle des Premier selbst. Dieser kündigte für den Fall eines negativen Ausgangs seinen Rücktritt an.

Die politische Bedeutung des Votums auf europäischer Ebene geht aber über das Schicksal des Premiers hinaus. Die Regierungskrise, welche auf den Rücktritt der Renzi-Administration folgen würde, birgt das Risiko einer EU-skeptischen Nachfolgeregierung. Sollte in diesem Strudel politischer Wirren ein Movimento 5 Stelle oder gar eine Lega Nord an die Macht kommen, wäre ein weiteres Land Kandidat für einen EU-Austritt. Die Chancen für ein solches Szenario sind durchaus realistisch: Umfragewerte prognostizierten zuletzt einen dünnen Vorsprung des Nein-Komitees.

 

(Bild: Wikipedia/Jean-Pol Grandmont)

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Franco Membrini

Kolumnist
Hat an der University of Edinburgh seinen «Master of Science in History» absolviert. Zuvor studierte der Churer Geschichte, Betriebsökonomie und Staatsrecht an den Universitäten Bern und Bologna.