Cher Monsieur Levrat

Cher Monsieur Levrat

Vielleicht ist es unserer Namensvetternschaft geschuldet, dass ich Sie eigentlich schon seit je her recht sympathisch finde. Vielleicht sind es aber auch die hin und wieder leicht spitzen Bemerkungen, welche Ihnen gerne mal über die Lippen gehen. Leider sind wir uns noch nie begegnet, ich bin ja nicht Mitglied Ihrer Partei. Meine politische Karriere war kurz: einst Mitglied der Freien Liste Chur, einem provinziellen Polit-Lumpensammler-Verein, habe ich bemerkt, dass dieses gemeindepolitische Flickwerk gar nicht so frei war. Heureka! Immerhin, die Leute gibt’s noch und einige davon sind schwer politisch aktiv. Andere längst nicht mehr. Wieder andere sind zu Ihrer Sozialdemokratischen Partei der Schweiz emigriert und seit da wie vom Erdboden verschwunden. Was machen Sie mit denen?

 

Ich habe mich über Ihr Schreiben vom 27. Mai 2019 sehr gefreut: gerade, weil wir uns nicht kennen und meine Mailbox immer seltener von netten Mails frequentiert wird. «Dass der Levrat mir schreibt!», dachte ich und malte mir schon die schönsten Bilder möglicher Kooperationen vor meinem geistigen Auge aus. Möglicherweise möchten Sie mich als Vortragsredner buchen, um den rechten Flügel Ihrer SP-PS wieder auf den linken Pfad zu führen? Oder winkt gar ein Engagement als geheimer Auftragsschreiberling? Sonst eine Bestimmung, was Verschrienes? Ich habe uns beide schon, Hand in Hand, über rot leuchtende Plätze dieses Landes schreiten sehen; die alten Lieder pfeifend, den Massen zuwinkend, die Revolution planend.

 

Die Tagträumerei findet ein abruptes Ende, wie ich die ersten Zeilen Ihrer Mail lese. Sie informieren mich darin, dass am 20. Oktober Wahlen sind (danke!) und dass die finanzielle Übermacht der Bürgerlichen «gigantisch» sei. Dann folgen Phrasen. Und ein roter Button: «Ich spende für den Linksrutsch». Da ich als Lohnarbeiter der Bildungsindustrie hin und wieder malochen muss, habe ich Ihre Mail allerdings – trotz der Enttäuschung, nicht für Sie wirken zu dürfen – relativ schnell wieder vergessen. Ich vermute rückblickend, dass Sie vorgängig damit gerechnet hatten: Exakt 72 Stunden nach Ihrer ersten Mail kommt die Zweite, in der Sie mir schreiben, dass Sie mir vor drei Tagen eine Mail haben zukommen lassen. Herr Levrat, echt jetzt?

 

Ich gähne. Sie: «Schon 479 Menschen haben gespendet.» Ich: «hrrrggg». Sie: «Wow!». Und wieder ein Linksrutsch-Button.

 

Machen wir es kurz: Ich werde Ihnen keine Spende für langweilige Plakatwerbung zukommen lassen. Weil ich befürchte, dass Ihre Wahlslogans auch 2019 nicht unbedingt der Renner sein werden. Ich glaube auch nicht, dass diese Plakate die Wahlen entscheiden werden. Ich würde mir von Ihnen und den Genossinnen und Genossen etwas mehr «Schmackes» in Sachen Werbestrategien wünschen. Herrgott, machen Sie mal was Neues, etwas Verrücktes. Machen Sie es anders und bringen Sie so Ihre Botschaft unter die Wählerinnen und Wähler.  Beispiel? Ich erinnere mich, wie einst Peter Bodenmann wie wahnsinnig vor der Fabrik, in der ich arbeitete, zur frühmorgendlichen Schichtablösung linke Parolen jaulte. «Der hat Eier!» – dachte es, warf meine langen Haare mit einer kurzen Kopfbewegung gekonnt nach hinten und rammte, den letzten Zug an meiner «Marocaine extra» ziehend, die Stempelkarte in die unerbittliche Uhr des Werks mit den drei Buchstaben. Peter skandierte weiter. Das waren noch Zeiten.

 

Ich komme zum Schluss. Indem Sie etwas anbiedernd dem Proletariat das Geld aus der Tasche betteln, um es an Plakatwände zu kleben, schaffen Sie den Linkrutsch nicht. Auch wenn ich es uns allen sehr wünschen würde. Ihrer Grafikabteilung gebührt übrigens eine herbe Schelte: Das Bettelmail hat – gelinde ausgedrückt – den Charme eines Betreibungsschreibens. So wird das nix! Und: Sollten Ihnen die Themen ausgehen, würde ich mir wünschen, dass sich die SP-PS im Kern für einen neuen Gesellschaftsvertrag einsetzt und Ihren gern subkutan mitschwingenden, elitär-intelektuellen Touch endlich kübelt, um authentisch zu echter, cleverer, linker Politik mit deutlich sozialer Handschrift zurückzufinden.

 

Ich wünsche Ihnen viele Spenden und vor allem junge, kreative Köpfe für gute Aktionen, die wenig kosten und viel bewirken. Ansonsten droht den Genossinnen und Genossen, was der Sozialdemokratie andernorts bereits widerfahren ist. Ach ja, falls Sie doch noch einer Rede bedürfen, melden sie sich ungeniert. Meine Mailadresse haben sie ja!

Meilleures salutations,

Christian Stalder

citoyen et rebelle littéraire à temps partiel

 

PS: Herzlichen Dank den beiden eifrigen Lesern aus Zürich, welcher zur Lösung des Zahnhygieneproblems das Putzen mit dem Schnaps der teegetränkten Tanten und mental-kleckerfreies Putzen vorgeschlagen haben. Die amüsanten Beiträge werden beide prämiert; ich sehe mich gezwungen, mit einem ein Auszug aus Ernas Destillat bald schon nach Zürich zu reisen. Bis dann.

(Bild: Pexels)

Kolumnist Bildung & Soziales, Schulleiter, Dozent und eine COIRASONhälfte. Zum Essen trinkt er Rotwein, beim Schreiben Espresso.