Steinschlag-Experimente am Flüelapass

Steinschlag-Experimente am Flüelapass

GRHeute
15.10.2019

Forschende des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung haben am Flüelapass eine neue Serie von Steinschlagversuchen gestartet. Damit soll die Wirkung von Steinschlagnetzen optimiert werden.

Ein 2,5 Tonnen schwerer Stein rollt den Hang hinab und prallt mit voller Geschwindigkeit in ein Schutznetz: Dieses Szenario haben Forschende des SLF zusammen mit der Firma Geobrugg an einem Hang bei Chant Sura am Flüelapass getestet. Dazu verwendeten sie – wie bereits in früheren Versuchen – Betonsteine in verschiedenen Formen und Grössen, die sie von einer Plattform aus in Bewegung setzten. Für die aktuellen Tests wurden nun zusätzlich Netze am Hangfuss installiert, um die Aufprallkräfte und das Abbremsen der Steine zu messen.

Die Versuche finden im Rahmen eines Innosuisse-Projekts zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstitutionen und Unternehmen statt. Projektpartner sind das SLF und die Firma Geobrugg, die eine Weiterentwicklung ihrer bisherigen Schutznetze im Gelände testen will. Dazu sind die Netze mit Sensoren ausgestattet, welche die Aufprallkräfte messen. Die Steine wiederum enthalten Sensoren zur Messung von Rotation und Beschleunigung. Highspeed-Videoaufnahmen liefern zudem Informationen über die Bewegungsmuster während des Einschlags. «Ziel ist, neue Messdaten zu gewinnen, um die Konstruktion der Netze sowie unser Steinschlag-Simulationsprogramm zu verbessern», sagt SLF-Projektleiter Andrin Caviezel. Die neuartigen Belastungstests unter Realbedingungen sind eine wertvolle Ergänzung zu den normierten Falltests des Herstellers.

Steinform spielt eine Rolle

Bisherige Versuche, die noch ohne Netze stattfanden, haben bereits wichtige Erkenntnisse geliefert. «Unsere Daten zeigen, dass die Steinform ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Gefahrenabschätzung ist», sagt Caviezel. So haben radähnliche Steine einen deutlich breiteren Auslaufbereich als würfelförmige. Hingegen unterscheiden sie sich kaum bezüglich Geschwindigkeiten und Sprunghöhen. Dank der Messdaten lässt sich nun auch die unterschiedliche Interaktion der Steine mit weichem oder hartem Untergrund besser als bisher im Steinschlag-Simulationsprogramm «Ramms::Rockfall» abbilden.

In einer ersten Reihe von Experimenten haben alle Steine dieselbe würfelähnliche Form, unterscheiden sich aber im Gewicht. Der leichteste wiegt 44 Kilogramm, der schwerste etwa 2670 Kilogramm. Solche künstlichen Steine zu verwenden, hat den Vorteil, dass sie sehr gut miteinander verglichen werden können und man identische Steine in grosser Anzahl herstellen kann. So lässt sich untersuchen, welchen Einfluss das Gewicht auf das Bewegungsverhalten hat, ohne dass Unterschiede in der Form das Ergebnis beeinflussen. Den Einfluss der Form zu bestimmen, wird zentraler Bestandteil weiterführender Experimente sein. Dafür werden in weiteren Experimenten auch noch radähnliche Steinformen getestet.

300 Meter langer Testhang

Als Testgelände dient ein etwa 40 Grad steiler und 300 Meter langer Hang. Während die Forschenden einen Stein den Hang hinabrollen lassen, messen im Stein befestigte Sensoren die Rotationen und Beschleunigungen in allen drei Achsen. Die Sensoren sind eine Spezialentwicklung der Gruppe rund um Luca Benini des Instituts für Integrierte Systeme der ETH Zürich. Die Auslaufdistanzen werden mit einem hochgenauen GPS-Gerät eingemessen. Ausserdem setzen die Forschenden erstmals höchstauflösende 8K synchronisierte Fotogrammetrie ein. Dabei nehmen zwei bis drei Kameras aus verschiedenen Blickwinkeln 25 Bilder pro Sekunde auf. Damit lassen sich Rückschlüsse auf die Sprungweiten ziehen und im idealen Fall erlauben die Aufnahmen, aus den Stereobildern die komplette Flugbahn des Steins in 3D zu rekonstruieren.

«Ramms::Rockfall» wird von Ingenieurbüros weltweit zur Gefahrenabschätzung und zur Dimensionierung von Schutzbauten genutzt. Bisher lassen sich damit die Auslaufbereiche von Steinen im jeweiligen Gelände simulieren. Langfristiges Ziel ist, auch die Interaktion der Steine mit Fangnetzen und anderen Schutzbauten in das Modell zu integrieren – etwas, wozu die aktuellen Versuche beitragen werden.

 

(Bilder: Geobrugg/Raffael Soppelsa/zVg.)

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