Eine andere Reise nach Nepal

Eine andere Reise nach Nepal

Mena Dressler
29.08.2019

Ein Reisebericht von Jeannine Maillard und Pasang Rinji Sherpa, www.swisshopesherpa.ch

Nepal ist weltberühmt für wunderschöne Trekkings in der atemberaubenden Umgebung des Himalayas. Es gibt aber auch eine andere Seite von Nepal, und die befindet sich abseits vom Tourismus. Da taucht man ein in eine andere Welt, in der nicht alles perfekt ist, in der die Einheimischen nicht vom touristischen Geldsegen profitieren können. Dieses meist unbekannte Nepal steht nun seit bald drei Jahren im Mittelpunkt meiner Hilfsorganisation „Swiss Hope Sherpa“. Wir helfen dort, wo selten Touristen vorbeikommen. Die Welt verändern wir gewiss nicht. Wir helfen in einem Bergdorf, wo Hilfe nötig ist.

„Unser Dorf“ trägt den wunderschönen Namen Chheskam. Um dahin zu gelangen, fuhren wir zuerst 12 Stunden mit dem Jeep von Kathmandu bis nach Phablu an der legendären Trekking-Route von Jiri bis Lukla. Dieses Dorf verdankt seinen Weltruf seinem abenteuerlichen Flugplatz. Bevor dieser gebaut wurde – oder besser gesagt ausgebaut wurde – wanderten die Bergsteiger zur Akklimatisierung bis nach Lukla. Heute wird diese wunderschöne Wanderroute links liegengelassen, bzw. überflogen. Mit dem Flugzeug erreichen heute die Bergsteiger und Trekker den Ausgangspunkt Lukla in einem 45-minütigen Berg-Panorama-Flug. Früher dauerte die Wanderung ab Jiri rund sieben bis acht Tage.

Wegen dieser Luftbrücke mussten bereits viele Unterkünfte zwischen Kathmandu und Lukla schliessen. Die Regierung versucht, den Touristen diese Region wieder attraktiver zu machen und baut eine Strasse. Diese soll eine günstigere Reise-Alternative werden und die Herbergen hätten vielleicht auch wieder eine Zukunft. Bereits jetzt sieht man erste Fortschritte. Die Strasse kommt Lukla näher und näher. Wir merkten dies auch, als wir von Phablu Richtung Lukla liefen. Immer wieder versperrten uns Bagger den Weg oder wir mussten lange Strecken auf der Strasse zurücklegen, der Wanderweg musste dem Neubau weichen. Das ist der Wandel der Zeit. Trotzdem schade um die Wanderwege. Selbstverständlich freuen sich die Einheimischen auf kürzere Reisezeiten und komfortablere Verbindungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite, und das soll hier ausdrücklich auch erwähnt werden, gehen durch diese Strasse natürlich auch sehr viele Arbeitsplätze verloren. Die Menschen, die als Träger arbeiten, verlieren durch die neue Mobilität ihre Möglichkeit zu arbeiten. So müssen sie in Zukunft weiter weg von der Strasse und Zuhause und das heisst, die meisten von ihnen warten in Lukla auf Verdienstmöglichkeiten.

Zurück zu unserer Reise von Phablu nach Chheskam. Wir liefen während vier Tagen durch wunderschöne Landschaften. Die Einheimischen unterwegs waren sehr erfreut, trotz des Strassenbaus noch Wanderer anzutreffen. Dank meinem nepalesischen Arbeitspartner Pasang kam ich zu vielen Informationen rund um den Alltag der einheimischen Bevölkerung. Ich bin sehr an diesem Alltag, dem Leben mit all seinen Freuden und Sorgen, interessiert. Immer wieder möchte ich wissen, wie und was passiert, wie etwas entsteht, wie die Menschen leben, wie es ihnen geht, was ihre Wünsche sind.

In den einfachen Unterkünften unterwegs wurden wir wunderbar verköstigt. Das einfache Leben da am anderen Ende des Globus ist für mich ein lehrreiches Gegenstück zu unserer scheinbar perfekten Welt. Bei uns ist immer alles irgendwie selbstverständlich. Z.B. Wasserhahn aufdrehen, das Wasser läuft trinkbar in das Lavabo. Lichtschalter an, es wird hell. Dank meinen Erlebnissen und Begegnungen in Nepal bin ich für alles wieder mehr dankbar, ich nehme mein Leben, mein Umfeld, wieder viel bewusster wahr.

Was mich immer wieder erstaunt ist, wie zufrieden die Menschen am Himalaya sind. Nach unseren westlichen materiellen Massstäben sind sie arm, aber weil alle Selbstversorger sind, haben sie genügend zu Essen. Und was sie nicht anbauen, tauschen sie. In unserer Welt brauchen wir immer das Neueste, das vermeintlich Beste…. Ist dies wirklich der Sinn des Lebens, ist materieller Besitz so zentral?

Mit solchen Gedanken, mit dem Philosophieren über den Sinn des Lebens und mit vielen neuen Eindrücken, erreichten wir dann unser Dorf Chheskam. Dieses liegt süd-östlich von Lukla auf 1‘600 Meter über Meer. Wir wurden wie immer von den Kindern freudig begrüsst. Und was uns sofort auffiel, die Kinder trugen die von uns bei einem früheren Besuch mitgebrachten Trainingsanzüge. Sie forderten uns auf, ihnen zu folgen. Pasang übersetzte für mich, dass es eine Überraschung geben werde. Wir bekamen in der Schule eine berührende Begrüssungszeremonie mit den traditionellen Kata-Schaals und Blumenkränzen. Als wir uns setzten, begannen die Kinder mit ihren einstudierten Sing- und Tanzeinlagen. Ich hatte Tränen in den Augen. Übrigens, die Kinder im Publikum sassen auf den von unserer Hilfsorganisation finanzierten Schulbänken und Tischen. Zum Schluss verteilten wir noch die auf dieser Reise mitgebrachten Kinderkleider aus der Schweiz. Die Dorfjugend konnte ihr Glück kaum fassen. Nach diesen berührenden Zeremonien hatten wir mit dem Schuldirektor eine Besprechung über unser nächstes Projekt. Unser Plan: Sobald die Schule – sie ist in ihren Projekten autonom – ein weiteres Stück Land kaufen kann, werden wir da eine Bibliothek bauen und die vorhandenen durch aktuelle Schulbücher ersetzen. Wir hoffen, dass wir bald mit dem Neubau beginnen können.

Als nächstes besuchten wir unser erstes, von uns gebautes und finanziertes Familienhaus. Bisher kannten wir es nur von Plänen und Fotos. Wir waren sehr begeistert und auch ein wenig stolz, dieses tolle Projekt in seinen ganzen Dimensionen zu sehen. Es ist noch zu erwähnen, wie genau wir bei unseren Projekten in Nepal vorgehen. Die Finanzierung erfolgt in vier Etappen. Wir bezahlen einen Viertel, kontrollieren das Erreichte. Wenn alles so läuft wie geplant, wird die nächste Rate freigegeben. Ansonsten würde das Kapital für andere, dringend oder manchmal auch nicht so dringend benötigte Anschaffungen verwendet. Pasang ist jeweils vor Ort, um alles zu kontrollieren. Das erste Haus war eine Erfolgsgeschichte! Dank einer privaten Spende können wir nach der Monsunzeit Ende September ein weiteres neues Haus bauen. Der Familie, der wir helfen, ist es nicht möglich, dieses Haus selber zu finanzieren. Der kleine Lohn des Vaters, der als Träger arbeitet, genügt nicht.

Nach all den vielen positiven Erlebnissen in Chheskam ging es für uns auf die Weiterreise nach Lukla. Beim Verlassen des Dorfes war ich mir sicher, dass wir das Richtige machen und am richtigen Ort helfen. Mit diesen schönen Gedanken, die ich auf unserer 3-tägigen Wanderung bis nach Lukla immer bei mir trug, erreichten wir den Heimatort von Pasang. Da tauchten wir in die andere Nepal-Welt ein, in eine hektischere. Eine Art Kulturschock. Der Tourismus blüht, die Häuser und die Unterkünfte sind moderner und grösser, das Geld fliesst, denn hier gilt nur ein Thema: der Everest! Auch wenn man für dieses Abenteuer regelrecht Schlange stehen muss. Mir wurde das alles schnell viel zu viel. Wir verliessen die Hauptstrasse und begegneten Menschen, die nicht vom Tourismus leben können. Es sind zwei Familien, die von unserer Hilfsorganisation unterstützt werden. Für je ein Kind dieser Familien geben wir ein Stipendium. Damit ist es möglich, dass diese Kinder weiterhin die Schule besuchen können. Unser Besuch vor Ort bei diesen Familien hat sich sehr gelohnt. Dank dem direkten Kontakt und unserer Unterstützung sind die Noten der Kinder extrem besser geworden. Sie haben eine Perspektive und sie zeigten uns, was sie gelernt haben. Das machte uns sehr stolz und wir waren froh, dass wir uns auch in einem vermeintlich wohlhabenden Ort engagieren und etwas bewirken können.

Nach all den vielen Begegnungen, den Erlebnissen, Eindrücken und Erfahrungen war es Zeit für meine Reise zurück in meine andere Heimat. Traurig und glücklich zugleich verlasse ich dieses schöne Land mit seinen wunderbaren Menschen. Seit meinem ersten Trekking im Jahr 2012 habe ich mich in das Land Nepal verliebt. Und seit drei Jahren helfen wir mit unserer Hilfsorganisation „Swiss Hope Sherpa“ in Regionen fernab vom Touristenstrom. Unser Geld wird direkt vor Ort und ohne administrative Kosten eingesetzt. Wer sich genauer informieren möchte, findet alles Wissenswerte auf unserer Homepage: www.swisshopesherpa.ch

Gemäss unserem Motto «Wer die Ärmsten der Welt gesehen hat, fühlt sich reich genug zu helfen» werden wir immer weiter machen und ein bisschen Hoffnung schenken.

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Mena Dressler

Redaktorin Region Albula
Texterin mit bajuwarischen Wurzeln. Auf fast allen Kontinenten aufgewachsen, nun seit fast 13 Jahren im schönsten Kanton der Welt daheim. Sammelt Länder, liebt Berge, Sprache und Sprachen und gute Bücher.