Wilders ist nicht Le Pen

Der bisherige Ministerpräsident Mark Rutte von der rechtsliberalen VVD ist der Sieger der holländischen Parlamentswahl. Am Ende war Rechtsnationalist Geert Wilders keine ernsthafte Bedrohung. Lieferten die Niederländer ein Stimmungsbarometer für das europäische Superwahljahr?

Noch nie war das internationale Interesse an den Parlamentswahlen in den kleinen Niederlanden so gross die dieses Jahr. Das Duell zwischen Ministerpräsident Mark Rutte und Geert Wilders wurde medial zum Schicksalskampf über Europas Zukunft hochstilisiert. «Kann der Rechtspopulismus in den Niederlanden aufgehalten werden?», lautete die zentrale Frage. Nach dem britischen Entscheid die EU zu verlassen und dem Wahlsieg Trumps schien der Sieg der Kontinentaleuropäischen Nationalisten wie Wilders und Le Pen fast unausweichlich. Wie sich nun gezeigt hat ist der Wahlsieg auch mit nationalistischen Parolen keineswegs gewiss. Wilders PVV konnte zwar vier Sitze zulegen, blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück. Mit 19 Sitzen kommt die PVV nicht einmal in die Nähe der  31 Mandate von Ruttes VVD, die im 150-köpfigen Parlament mit Abstand stärkste Kraft bleibt – obwohl sie ein Viertel der bisherigen Mandate einbüsste.

Der Ministerpräsident konnte vor allem durch sein selbstbewusstes Auftreten während der jüngsten Krise mit der Türkei punkten. Doch nicht nur das bewahrte die VVD vor einem Debakel. Die Mandate der  Sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA), bisherige Koalitionspartnerin des Ministerpräsidenten, schmolzen von 29 auf 9 Sitze zusammen. Ein neues historisches Tief. Die Vermutung liegt nahe, dass Rutte weit bis in die sozialdemokratische Basis hinein Wähler abholen konnte, welche einen allfälligen Sieg von Geert Wilders zu verhindern suchten. Mit dem Fall des ehemaligen Koalitionspartners  stehen Rutte nun zähe Verhandlungen hervor. Um eine Mehrheitsregierung bilden zu können, müsste der Ministerpräsident nicht weniger als vier Parteien einbinden.

Deutsche Tageszeitungen vermeldeten nach dem mageren Zuwachs von Wilders PVV sogleich: «Europa atmet auf» oder «Niederlage für Le Pen, Afd und Trump». Doch lässt sich der westliche, neu aufkommende Nationalismus wirklich vom kleinen Holland aufhalten?

Der nationalistische Trend fand in den Niederlanden vorerst keine Bestätigung. Für die weiteren anstehenden Wahlen in Europa sagt dieser Wahlausgang aber ausgesprochen wenig bis gar nichts aus. Die holländische Parteienkonstellation, das Proporzverfahren, die fehlenden Sperrklauseln für den Einzug ins Parlament, das Duell Wilders-Rutte, die aussenpolitische Krise mit der Türkei. Dies alles sind Faktoren, welche die Wahl in Holland massgeblich beeinflussten, in Frankreich oder Deutschland aber keineswegs Gültigkeit beanspruchen können. Die Zersplitterung der Linken in Frankreich bringt Marine Le Pen vor allem im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil ein. Dazu kommt der skandalöse Kandidat der Konservativen Francois Fillon, der trotz einer laufenden Untersuchung seine Kandidatur nicht zurückziehen will. Darüber hinaus ist das Wahlverfahren der französischen Präsidentschaftswahl in keiner Weise mit der niederländischen Parlamentswahl zu vergleichen. Für alle, welche die  holländische Wahl als Stimmungsbarometer für ganz Europa sehen ist, insbesondere in politisch so turbulenten Zeiten, Vorsicht geboten. Der euroskeptische und nationalistische Trend in Europa findet mit dem Pyrrhussieg von Mark Rutte über Geert Wilders kaum ein Ende.

 

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Franco Membrini

Kolumnist
Hat an der University of Edinburgh seinen «Master of Science in History» absolviert. Zuvor studierte der Churer Geschichte, Betriebsökonomie und Staatsrecht an den Universitäten Bern und Bologna.