Kolumne 2.0: 72 Stunden offline – die Welt dreht sich weiter

Kolumne 2.0: 72 Stunden offline – die Welt dreht sich weiter

72 Stunden Smartphone-freie-Zeit. 72 Stunden absolute Unerreichbarkeit, fernab vom ständigen Online-Informations-Konsum. Hört sich verlockend an? Geht so! Völlige digitale Abstinenz während ganzen 3 Tagen haben auch zur Folge, dass ich am 4. Tag dringend eine Auszeit von der Auszeit benötige.

Ich bin rund um die Uhr erreichbar. Beinahe 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Mein Smartphone ist mein ständiger Begleiter, egal wann, egal wohin. Privat oder beruflich. Darin befinden sich all meine Kontakte mit all ihren Koordinaten, mein überfüllter Terminkalender, Erinnerungsnotizen, meine 5 eMail-Accounts, meine Ablagesysteme, Geschäftsunterlagen, Notizen, Fotos und Videos, Codierungen und Zugänge zu verschiedenen Backends, Konversationen privater und beruflicher Natur via Whatsapp, iMassage, Facebook, XING, LinkedIn und Instagram sowie die wichtigsten News-Apps: GRHeute.ch, Blick, Blick am Abend, 20Minuten, Watson oder FM1 Today, die mich täglich via Push mit den neusten Geschichten aus der Welt beliefern. Ich bin online. Ich bin ein «Digital Native». So tickt eben die Generation Y, zwischen 16- und 36-jährigen. Das ist mein Leben und das gefällt mir. So wie so manch anderes Leben heutzutage und besonders in meinem Umfeld, beeinflusst durch die Gesellschaft, die Branche und den Markt, die Arbeitswelt und deren heutigen Ansprüche an die Arbeitnehmer.

Aufgewachsen bin ich jedoch mit einem Nokia 3110 aus dem Jahre 1997, dem heutigen «Senioren-Handy». Die Welt um uns herum hat sich seither rasant verändert. Beinahe mein halbes Leben lang gehe ich mit der Zeit und dem Fortschritt der Technologie. Der Umgang mit digitalen Medien wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt oder salopp gesagt: ich hab sie mit der Muttermilch eingesogen. Durch die zunehmende Digitalisierung sind auch die grenzenlose Flexibilität, die enorme Spontaneität und die permanente Erreichbarkeit zur gesellschaftlichen Norm herangewachsen. Der Druck lastet von allen Seiten je länger je mehr auf die zunehmende Entgrenzung zwischen Privat- und Arbeitsleben. Ein Umstand, der die moderne Gesellschaft nicht nur zu Höchstleistung und Selbstverwirklichung anspornt, sondern leider auch einen hohen Tribut fordert. Hier gilt es, die Work-Balance zu halten. Und manchmal gerät diese in wackelige Schieflage.

Ein in den USA aktuell weit verbreiteter Trend nennt sich «Digital Detox». Eine Bewegung, die sich mit der Abkehr von der permanenten Verfügbarkeit beschäftigt und der Vermittlung von mehr Lebensqualität. Dieser Trend hat auch die Schweiz erreicht. Und mich vor 4 Tagen, als ich meine eigene digitale Entschlackungs- und Entgiftungskur begann. Ich begab mich auf unbekanntes Terrain. Nun erwartete ich am eigenen Leib einen schweisstreibenden «Entzug» zu erleben, unaufhörlich nach Informationen aus der Welt zu suchen, meinem Gegenüber aufs Display zu schielen und festzustellen: ich bin ein Newsjunkie. Doch die Erkenntnis hat mich schwer getroffen. Nahezu überrascht. Denn nichts dergleichen traf ein. Im Gegenteil – ich scheine nichts zu vermissen. Ein Gefühl der Freiheit und Glückseligkeit macht sich breit, ein Gefühl das mich die letzten Wochen der Hektik vergessen lassen scheint. Ich lebe das reale Leben, nippe an meinem Chardonnay, mache mir echte Notizen – schwarz auf weiss mit Stift und Papier– geniesse und nehme mir bewusst die Zeit über Dinge und Entscheidungen nachzudenken. Über mein Leben und die Zukunft.

Meine Erfahrung hat dazu geführt, dass ich den kopflastigen Stress reduzieren konnte und im Gegenzug meine Kreativität und Produktivität auf eine erstaunlich kraftvolle Art und Weise gefördert und die Welt mit anderen Augen gesehen habe, wie ich’s mir bis dato kaum vorstellen konnte. Wie unglaublich inspirierend es doch ist, nach passenden und kreativen Lösungen zu suchen, ohne dabei meinen Freund und Helfer «Google» um Rat zu fragen!

Zurück in der Realität musste ich feststellen, dass sich die Welt weiter gedreht und der digitale Briefkasten reichlich gefüttert wurde. Kurzum: seit Freitag warten am Sonntagabend 159 unbeantwortete, gefilterte eMails, 243 Textnachrichten und 24 Telefonate darauf, gelesen, beantwortet und abgehört zu werden. Trotz der wunderbaren Erfahrung, freue ich mich wieder auf den Alltag, in der viralen und noch viel bewusster in der realen Welt.

Alles in allem: es ist OK sich hie und da von der virtuellen Welt zu verabschieden und sich bewusst in das wahre Leben zu stürzen. Sich mit echten Dingen und Menschen zu beschäftigen, dem Kopf eine Pause zu gönnen, Energie und Kraft aus der Natur zu schöpfen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. «Digital Natives», lernt dem wahren Leben und den Menschen in eurem Leben mehr Beachtung zu schenken. So schöpft ihr Kraft für neue Ideen und Produkte im beruflichen Dasein.

 

(Bilder: GRHeute)

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Andjela Dinkel

Geschäftsführerin/Region
Inhaberin der Agentur ProjektStation.ch & Jungunternehmerin mit Drive und Gespür für den Puls der Zeit im Bündner Rheintal.

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