Brienzer Rutsch: «Negativ ist, dass sich die Situation nicht entspannt hat»

Brienzer Rutsch: «Negativ ist, dass sich die Situation nicht entspannt hat»

GRHeute
13.05.2022

Das Dorf Brienz/Brinzauls liegt auf einem alten Erdrutschgebiet, das sich bis heute nicht beruhigt hat. Messungen haben ergeben, dass das Dorf abrutscht und erheblichen Gefahren ausgesetzt ist. Ein möglicher Bergsturz aus dem Brienzer Rutsch könnte ausserdem grössere Gebiete gefährden als bisher angenommen. Im aktuellen Bulletin zum Brienzer Rutsch wird über die aktuelle Lage informiert.

Rutschung Berg: Vor allem die Bereiche Insel und West zeigen die gewohnte «Frühjahrsbeschleunigung» aufgrund der Schneeschmelze. Die Insel hoch über Brienz/Brinzauls bewegt sich dabei fast so schnell wie bei den Rekordwerten im vergangenen Sommer und Herbst. In den übrigen Bereichen der Rutschung Berg sind die Geschwindigkeiten mehr oder weniger konstant.

Rutschung Dorf: Die Rutschung Dorf nimmt seit März konstant zu. Die Geschwindigkeit beim Messhäuschen im Dorf liegt im Moment bei ca. 1.55 m/Jahr.

 

Abklärungen zum Flügelaltar der Kirche St. Calixtus 

Der 5,6 m hohe Hochaltar der Kirche St. Calixtus in Brienz/Brinzauls gilt als einer der bedeutendsten Flügelaltäre Graubündens. Eine Expertengruppe der Kirchgemeinde, der Denkmalpflege Graubünden und der Restauratoren der Hochschule der Künste Bern prüft derzeit, ob und wie der Altar im Falle einer Evakuierung oder Umsiedlung von Brienz/Brinzauls ebenfalls evakuiert werden könnte.
 

Bau des Sondierstollens kommt rascher voran als geplant 

Die Vortriebsarbeiten im Sondierstollen unter dem Brienzer Rutsch kommen besser voran als geplant. Bei 535 von 635 Metern Stollenlänge wurde der Vortrieb für 14 Tage unterbrochen, um eine zweite Erkundungsbohrung parallel zum weiteren Stollenverlauf erstellen zu können. 

Am Donnerstag, 12. Mai wurde der Vortrieb wieder aufgenommen. Bis Ende Juni werden die letzten 100 Meter des Stollens und die vierte Nische ausgebrochen und die dritte und die vierte Entwässerungsbohrung erstellt.

Im Juli wird dann der Sohlenbeton am Boden des Stollens erstellt und bis Mitte September erfolgen weitere Erkundungs- und Entwässerungsbohrungen aus dem Stollen in den umliegenden Fels und die sich darüber bewegende Rutschmasse.

 

«Zuverlässiger vor Gefahren warnen»

Am 7. April wurden neue Erkenntnisse des Geologenteams zum Brienzer Rutsch veröffentlicht. Stefan Schneider, Leiter des Frühwarndienstes, beurteilt im Interview die Gefahrenlage. 

Herr Schneider, Sie sind verantwortlich für die Einschätzung, wie gefährlich der Brienzer Rutsch ist. Sind die neuen Resultate gute oder schlechte Neuigkeiten für die Bevölkerung und die Gäste im betroffenen Gebiet?

Die Erkenntnisse geben uns ein besseres Bild von den Vorgängen in der Rutschung. Das hilft uns, die Gefahren besser zu beurteilen. Und das ist positiv. Negativ ist, dass sich die Situation nicht entspannt hat.

Sie haben eine Reihe neuer Szenarien entwickelt, welche die möglichen Gefahren beschreiben. Können Sie die grössten Gefahren erläutern?

Szenarien sind mögliche Entwicklungen der Lage. Die vier grössten sind relevant für die Gefährdung und die maximale Ausdehnung von möglichen Schäden: Hoch über Brienz/Brinzauls kann es zu einem Bergsturz kommen, bei dem bis zu 4,4 Millionen Kubikmeter Material abstürzen könnten.

Abstürzende Gesteinsmassen würden dabei sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen und könnten das Dorf schwer in Mitleidenschaft ziehen. Im selben Gebiet könnte es auch zu einem so genannten «Schuttstrom» kommen, bei dem bis zu 18 Millionen Kubikmeter ins Rutschen kommen. So einen Vorgang gab es 1877 im Gebiet «Igl Rutsch» oberhalb von Brienz schon einmal. Allerdings könnte das Volumen nun wesentlich grosser werden und auch weiter rutschen – möglicherweise bis in die westlichen Teile von Surava. Wie weit, müssen wir nun mit Computersimulationen studieren.

Ein Bergsturz oder ein Schuttstrom könnte sich auch auf der westlichen Seite, hoch über Vazerol, lösen. Der Bergsturz könnte bis zu 0,8 Millionen Kubikmeter gross werden und den grössten Teil von Vazerol erreichen. Weiter unten könnte er auch bis in die Gewerbezone von Tiefencastel vordringen. 

Beim Szenario eines Schuttstroms im Westen könnte sich der gesamte Rücken Caltgeras lösen und abgleiten. In diesem Fall würden wohl der westliche Teil von Brienz/Brinzauls und der östliche Teil von Vazerol in Mitleidenschaft gezogen. Wie weit ein solcher Schuttstrom rutschen würde, müssen wir ebenfalls noch am Computer simulieren.

Das vollständige Interview gibts hier

 

(Titelbild: Radarbild der Rutschung Berg vom 9. Mai, 18:01 Uhr: Rote Bereiche bewegen sich stark; rosa Bereiche (gelb markiert) bewegen sich sehr stark; gelbe Bereiche bewegen sich wenig; grüne fast oder gar nicht/zVg.)

author

GRHeute

www.grheute.ch
GRHeute Redaktion