Eine Bündner Verschwörung gegen die Franzosen

Eine Bündner Verschwörung gegen die Franzosen

Das Veltlin gehört schon seit napoleonischen Zeiten nicht mehr zu Graubünden. Davor ging es aber schon einmal verloren, während der Bündner Wirren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Als der Freistaat der Drei Bünde im Strudel ausländischer Mächtepolitik zu versinken drohte, widmete sich eine geheime Verschwörung von Bündner Offizieren dem Ziel das Veltlin zurückzugewinnen: Der Kettenbund.

Das 17. Jahrhundert war auf europäischer Ebene vor allem durch ein Ereignis geprägt. Im Dreissigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648 bekämpften sich Protestanten und Katholiken, Habsburger und Franzosen, Österreicher und Deutsche, Spanier und Schweden überall auf dem Kontinent. Die effiziente Verschiebung von Truppen und Nachschub wurde für jede Partei zum kriegsentscheidenden Faktor. Die strategische Lage Graubündens und seine Alpenübergänge machten den Freistaat daher zum heissbegehrten Ziel der europäischen Mächte. Speziell das Haus Habsburg, sowohl in Spanien wie auch in Österreich die herrschende Dynastie, strebte nach der Kontrolle über die Bündner Pässe. Besonders das Veltlin, welches einen Korridor zwischen dem spanischen Mailand und dem österreichischen Tirol bildete, weckte dabei das habsburgische Interesse. Die Franzosen und Venezianer, ihrerseits vehemente Gegner der habsburgischen Hegemonialbestrebungen, versuchten ebendiese Kontrolle der Bündner Pässe durch Spanien-Österreich zu verhindern. Zu diesem Zweck warben beide Seiten um die Gunst der Bündner Gemeinden. Die Abgesandten und Botschafter der Grossmächte warfen im Freistaat grosszügig mit Geld um sich, in Form von legalen Pensionen aber auch in Form von Bestechung und Stimmenkauf, und versuchten ein möglichst günstiges Bündnis mit der alpinen Republik zu erreichen.

Die mehrheitlich reformierten Bündner zählten sich traditionell nicht zu den Freunden der katholischen Habsburger. Frühere Auseinandersetzungen zwischen Bündnern und Österreichern, wie der Schwabenkrieg 1499 und die österreichischen Feudalrechte innerhalb der Drei Bünde belasteten die Beziehung weiter. Die ständige Bedrohung durch die Interessen Habsburgs trieb die Bündner aussenpolitisch in die Arme der Venezianer und Franzosen. 1602 schloss der Freistaat ein Bündnis mit Frankreich, ein Jahr später folgte ein Abkommen mit der Republik Venedig. In den folgenden Jahren gerieten die Drei Bünde trotz dieser aussenpolitischen Absicherung immer mehr in den Strudel der europäischen Grossmachtpolitik. Als die Bündner 1620 von den Veltlinern aus ihrem Tal vertrieben wurden, begann für den Freistaat die Zeit der aussen- wie innenpolitischen Wirren. Die Untertanenlande, also das Veltlin, Chiavenna und Bormio, wurden zwischen 1620 und 1639 immer wieder von Spaniern, Österreichern oder Franzosen besetzt, die Bündner ihrerseits versuchten mit militärischen Interventionen das verlorene Gebiet zurückzugewinnen; ohne dabei erfolgreich zu sein. Zuletzt besetzten die Truppen des französischen Herzogs Rohan die wichtige Passverbindung wie auch Teile Graubündens, um den Einfluss der Habsburger zu beenden.

Die Bündner begrüssten Rohan im Freistaat zunächst wie einen Befreier, die Begeisterung wurde aber bald von Ernüchterung abgelöst. Die Franzosen zeigten keinerlei Anzeichen, dass sie das Veltlin tatsächlich an seine früheren Herren zurückgeben wollten, darüber hinaus zahlte die französische Krone den Bündner Söldnern nicht den zugestandenen Sold aus. Je länger diese Phase der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit anhielt, desto grösser wurde der Unmut gegen die Verbündeten. Während sich viele Bündner noch zu der französischen Anwesenheit im Freistaat bekannten, formierte sich im Hintergrund bereits Widerstand. 1637 schlossen sich 31 Bündner Offiziere, als Kommandeure von unbezahlten Regimentern gehörten sie zu den grössten Verlierern der französischen Zahlungsunterlassungen, zu einem Geheimbund zusammen. Der sogenannte Kettenbund wurde in Chur von namhaften Mitgliedern der sozialen Elite Graubündens gegründet, darunter heute noch klingende Namen wie Salis, de Florin, Coray, Buol, Planta und Guler. Die Verschwörer hatten ein gemeinsames Ziel: die Vertreibung der Franzosen aus Graubünden und die Wiedergewinnung der Untertanenlande – und dabei war jedes Mittel recht. Die Offiziere nahmen auch in Kauf, dass sie mit ihren langjährigen Feinden, den Habsburgern, paktieren mussten. Für den Umgang untereinander setzte die Gruppe umfangreiche Regeln fest. Sollte ein Mitglied beispielsweise deren Ziel oder andere Mitverschworenen verraten, konnte es von der Mehrheit der anderen Kettenbündler gerichtet werden. Nicht nur sein Hab und Gut stand dabei auf dem Spiel, sondern sein Leben. Falls ein Mitglied aber durch äussere Umstände zu Schaden kam, verpflichteten sich die Verschwörer zu Beistand und wenn nötig auch zur Rache.

Der Kettenbund konspirierte gegen die Verbündeten des Freistaats und machte sich somit des Verrats schuldig. Das kümmerte seine Mitglieder freilich wenig. Für die „Patrioten“ galt das zu erreichende Ziel höher als die politische Korrektheit. Auch der bekannteste Bündner Agitator Jörg Jenatsch handelte im Sinne des Kettenbunds, war selbst aber kein Mitglied. Nach der Konstituierung der Gesellschaft begannen die Vorbereitungen um gemeinsam mit den Habsburgern gegen die Franzosen vorzugehen. Die Spanier und Österreicher verlegten Truppen und Munition an die Grenze zu Graubünden, die Regimenter der Kettenbund-Offiziere verliessen ihrerseits ihre von den Franzosen zugewiesenen Posten und besetzten wichtige Stellungen. Rohan zog sich mit seiner Truppe in ihre Festung, die sogenannte Rohanschanze bei Landquart zurück, wo sie von Jenatsch, den Kettenbündler und 3000 Bündner Soldaten angegriffen wurden. Am 26. März 1637 musste Rohan kapitulieren und die Drei Bünde verlassen. Das kleine Graubünden fügte einer führenden europäischen Grossmacht eine empfindliche Niederlage zu. Der führende Politiker Frankreichs, der berüchtigte Kardinal Richelieu, bezeichnete diese Episode sogar als „die grösste Schmach, die er in seiner Karriere erlebt hatte“.

 

(Bild: Wikipedia)

author

Franco Membrini

Kolumnist
Hat an der University of Edinburgh seinen «Master of Science in History» absolviert. Zuvor studierte der Churer Geschichte, Betriebsökonomie und Staatsrecht an den Universitäten Bern und Bologna.