Lupus austriensis

Lupus austriensis

Die Freitagskolumne auf GRHeute.

 

In den vielen Jahren meiner schmalen Existenz hat sich mein Migrationshintergrund davon geschlichen. Man sieht ihn mir nicht mehr an. Ich bin Mitglied der Minderheit von Schweizern mit österreichischen Wurzeln. Das heiss umfehdete Land der Berge, Land am Strome ist keine klassische Herkunftsadresse der hierher Zugewanderten. Die eignen Spuren in die alte Heimat sind jäh verschüttet, blitzen aber auf, wenn Fendrich «I am from Austria» jault; dann könnte ich weinen. Ehrlich. Und ich freu mich, wenn die frommen Onkel in der alten Heimat nach dem Kirchgang im «Leuen» die Sau raus lassen oder der Herr Hader hinterfotzig Bitterböses salonfähig macht; ja, Österreich ist da, wo sich zynisch die Abgründe der menschlichen Existenz auftun – und man ungehemmt trotzdem, oder gerade deswegen fröhlich sein darf. Dazu gibts gschmackiges Gulasch und dies herrlich leichte Lebensgefühl. Dass dieses Land mitten in Europa, einst gefeiert lebendige Demokratie – mit dem zwar etwas zentralistischen, sicher äusserst mauschelanfälligen Touch, ich geb’s ja zu! – mir nichts, dir nichts einen Politskandal erster Güte fabriziert, erstaunt ein bisschen. Also eigentlich nicht, aber das depperte Filmchen zeigt halt, was alle eh schon wussten: Die res publica pfeift längst aufs Gemeinwohl und die nicht verdaute Geschichte ploppt häufiger als gewollt auf. Mal da, mal dort. Die sich selbst als «soziale Heimatpartei» bezeichnende FPÖ steht manchmal gar scharf auf der Grenze zur dümmlich-rechtsbraunen Sülze und hat ihre Feindbilder längst geschaffen.

Trotz alledem: Persönlich war ich froh, mal wieder aus dem Osten Neuigkeiten zu hören. Die gibts ja auch nicht alle Tage. Hab mich schon gefragt, was die da drüben so treiben. Und jetzt konnte ich zusehen, wie der komische Kanzler der neuen Volkspartei erst emporsteigt, dann abgekanzelt wird, um nur Sekunden danach, wie Phönix aus der Asche. wieder aufzuerstehen; so fesch dargeboten kriegt man Realsatire nur in der Alpenrepublik. Vielleicht liegt hierin der Gemeinwohlbeitrag. Der Kurzeitkanzler wir die Übergangsregierung provisorisch regieren bis Altkanzler Kurz in keinem halben Jahr wiedergewählt wird. «Ist eh Wuascht!». Meine Landsleute sequenzieren ihr politisches Leben wie ich den Waldviertler zum Geleit.

Zuviel aufs Mal. Meine melancholische Seite zwingt mich zur Schranktüre, ich gönne mir einen hausgemachten Obstler von Tante Erna und lege mich neben den Plattenspieler. Die Erna ist schon lange tot, der Schnaps hat sie überlebt. Die Nadel setzt auf, der Ludwig singt präpotent vom schiachen Wolf. «Der hat’s ned leicht!» Ein Auskommen mit dem vegetarischen Hasen? Vergiss es! Und für ewig gibt er das Pfoterl nicht her, dressiert werden schiesslich – da capo! – die Bären. Verachtet und bespuckt wird der Protagonist mit gutem Grund: Wer die Geisslein frisst, braucht sich hinterher über die Häme der Leut nicht zu wundern. Lupus gehts bald schon mächtig an den Kragen. 

Im Summen der weichen Melodie und mit Erklingen des A-moll Akkords verschmelzen meine beiden Hintergründe im Hier und Jetzt: Der Feingeist aus der Oststeiermark singt vom Wolf, der hier gut gedeiht, jedoch nicht mehr erwünscht ist. Denen da drüben indes fehlt es an Leitwölfen im Stall. Was tun?

  • Baun wir zusammen dieses gedachte Land?
  • Dort, wo die Viecher keine Gitter kennen, der Regen ned bitter schmeckt? 
  • Dort wo ned das Geld regiert, ja schon gar ned die, dies haben? 
  • Wo Politiker ned korrumpierbar sind, nur das Gute wolln und das Wahre sagen?

Der alte, blöde Wolf in des Hirschens Spiel glaubt an das Land, das er Freiheit nennt. Ich nicht. Nach 5 Minuten und 46 Sekunden entlockt die Nadel dem Vinyl nunmehr ein Rauschen. Das Lied ist aus. Ich liege auf dem Spannteppich, brennend der Obstler im Bauch, und heule das Lied der Wölfe. Für sie. Und für Rot-Weiss-Rot.

 

PS: Immer häufiger geschieht es, dass ich mir schlaftrunken im Bad beim Zähneputzen üppig die Zahnpastaspeichelsosse über die Pyjamahose kleckere. Was tun? Abwischen oder bleiben lassen? Ohne Hose die Zähne putzen? Den meditativen Gang mit Bürste sein lassen? Gar die Zahnhygiene abschaffen? Helfen Sie mir! Die beste Zuschrift wird prämiert.

 

(Bild: Pixabay)

Kolumnist Bildung & Soziales, Schulleiter, Dozent und eine COIRASONhälfte. Zum Essen trinkt er Rotwein, beim Schreiben Espresso.