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Christian Stalder

Kolumnist Bildung & Soziales, Schulleiter, Dozent und eine COIRASONhälfte. Zum Essen trinkt er Rotwein, beim Schreiben Espresso.

57 Artikel von Christian Stalder

Stalderei: Dickmaulrüssler

Stalderei: Dickmaulrüssler

Lauer Septemberabend. Vor der Mehrzweckhalle drückt Peider eine Zigarette aus, grüsst mit einem flüchtigen Blick in die Runde und geht. Saperlott. Nach drei Stunden Gezeter braucht er den Schnaps. Alleine, nicht in der Dorfbeiz. Weil eine Hiesige über Instagram Allerweltsgäste ins Dorf lockt, tobt das Dorf. Dutzende erfundene Gründe – eine alte Regel: dagegen! Ob der Föhn, der Neid oder der Bündner Gneis den Leuten den Missmut ins Gesicht franzt, man weiss es nicht. An der GV haben sich selbsterklärte […]

Stalderei: Genesis am Trasimeno

Stalderei: Genesis am Trasimeno

Der See schwappt vor sich her, düngergesättigt und etwas schal. Betriebsamkeit im Dorf. Pater Fernando treibt gutbeleibt auf einem Piaggodreirad mit seinesgleichen einen triefäugigen Holzjesus durch die engen Gassen, ein Dutzend Fahnenträger stiefeln hinterher. Der schmalbrüstige Messdiener spritzt das Weihwasser den Martini trinkenden Damen grad vor die tätowierten Füsse; im Moment, da sich unsere Blicke treffen, verschwindet sein fieses Lächeln blitzartig hinter der frömmelnden Maskerade. Einer hupt. Sonntagabend in Passigiano sul Trasimeno, im Herzen Italiens. Juliheiss. In einigen Stunden werden […]

Stalderei: Helvetisches Credo zu Unzeiten

Stalderei: Helvetisches Credo zu Unzeiten

Ich glaube an «in dubio pro echinacea». Ich glaube, dass mein Zahnarzt korrekt abrechnet. Ich glaube an die Praktikabilität meiner Parkettsaugbürste. Ich glaube, was ich nicht weiss. Ich glaube, sobald es die andern sicher wissen. Ich glaube an die Unbestechlichkeit der Berge. Ich glaube, dass es im Tal anders ist. Ich glaube ans Adieu der Autobahnklebeetikette. Ich glaube, damit die Wölfe heulen. Ich glaube ans Unnütze der Kirchensteuer. Ich glaube, damit Helvetia nicht altert. Ich glaube, wenn die Pluttschnecken mich […]

Staldereien: Allhier auf grüner Weid

Staldereien: Allhier auf grüner Weid

Wenn aus Rosas Bräter kleine, wohlschmeckende Moleküle den Weg via Dampfabzug nach draussen fanden und das Churer Rheinquartier plötzlich eingehüllt von Beaujolaisdämpfen angenehm roch, dann war der September da. Das Wild fand den Weg fast von alleine in den Pfeffer. Mir mundeten die Knöpfli immer am besten. Überdies hatte ich zeitlebens nur zwei Kontakte mit Weidmännern: Mein frommes Kehlchen sang engelsgleich in den Jahren des Haasen den Jäger aus Kurpfalz. Der Domchor hätte seine helle Freude an dem Gesang gehabt, […]

Staldereien: Von der Guerillapolitik zum Lokalestablishment

Staldereien: Von der Guerillapolitik zum Lokalestablishment

Ich war damals enttäuscht: Das Büro des Herrn Stadtrat kam so unaufgeregt daher, fast unanständig unangemessen für einen Mann dieses Schlags. Stilfrei und furchtbar unaufgeräumt. Das Treffen ereignete sich vor exakt sechzehn Jahren. Stickig die Amstluft. Und juniheiss. Im Zuge der Gemeinderatswahlen 2004 empfing uns Genosse Jäger, wohl gedacht als grosszügige Geste, quasi auf Augenhöhe, so meinte ich; es sollte alles anders kommen. Nach kurzem Wortgeplänkel die Wahlprognose des nahbaren Politdinos: ein zweiter Sitz unmöglich. Den bestehenden halten? – nur […]

Staldereien: Komm ein bisschen mit – nach Italien!

Staldereien: Komm ein bisschen mit – nach Italien!

Der Mittenberg grünt prall. In der Plessur tanzen die launischen Fischlein, halt solange sie keiner rauszieht. In der Stadt serviert eine mit Plastikvollkontaktschutzmaske lächelnd einen Kaffee. Die Tschugger, ihrerseits ohne Stöffchen im Gesicht, sind auch da, lächeln aber nicht. Im Stadtpark qualmt ein Ofen, übers Rheinwäldchen fegt der Blütenstaub, grad so, als sei es Qualm. Ich muss weg. Mein Fernweh überkommt mich dieser Tage, wie einst die Wirtschaftswunderkinder, diese Tedeschi. Wenn es um Urlaub geht, werde ich zum Tier! Wanderwochen […]

Staldereien: Anstiftung zu Unruhe in Freiheit

Staldereien: Anstiftung zu Unruhe in Freiheit

Ich vermisse nichts. Der Vorrat im Keller reicht noch lange. Das Fünfkilokunstoffgebinde Aromat, ein Geschenk meiner Schwägerin zu Weihnachten, liegt luftdicht verpackt in einer Zwanzigkiloaludose desselben Fabrikats der späten Fünfzigerjahre. Die kleinen Streuer im Retrodesign dazugelegt, entsteht eine Glutamat-Matrjoschka mit lauter lustigen Knorrlis. Das vegetarische Pulver wird nimmer schlecht! Daneben Johannisbeergelée mit Cassis, eine Sammlung aller Jahrgänge seit 2009, reicht noch für die Enkel, zumal meine Kinder sie nicht essen. Und jährlich werdens mehr! Das hat mich jüngst zum Kahlschlag […]

Staldereien: Kurzhosige Bubenangelegenheiten

Staldereien: Kurzhosige Bubenangelegenheiten

Lieber Max Rüdlinger Es war an einem Freitag, mitten auf der Taminabrücke: Ich schrie «Judihui!». Zu meiner Rechten das dunkle, gäche Tobel, zur Linken die weite Welt diesseits der letzten Rapsfelder Rhätiens. Auf dem Bordcomputer Kilometer 404, in meinem Kopf, wie aus dem Nichts, der Rüdlinger – glasklar! – just im Moment des Aufschreis. Herrgottsternen, wo kommt der plötzlich her, und wieso jetzt? In meinem glücklichsten Moment einer sehr bescheidenen Velokarriere, quasi auf dem ersten Pedalhöhepunkt, dachte ich – an […]

Staldereien: Ins Pfefferland mit der Daheimschule!

Staldereien: Ins Pfefferland mit der Daheimschule!

Der Wecker klingelt. 06:30 Uhr. Ich hieve meinen seit Ostern velosattelgeplagten Popo aus dem Bettchen. Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, so ne Fahrradtour durch den Lenz wirke erquickend, ja unterbreche gar meinen seit Wochen andauernden Quarantänevöllereizustand angemessen? Die letzte Fahrradtour ist zwanzig Jahre her. Unerschrocken kurvte ich damals durch das Bergell via Comersee nach Lugano, Marocaine rauchend über die Pässe. Zu Ostern dann unheilig Party im Tessin, halbleer die Diskotheken, teuer das Bier. Meine Zip-Hosen und der […]

Staldereien: Verwandlung aus der Plauze

Staldereien: Verwandlung aus der Plauze

Videokonferenzen sind noch langweiliger als Sitzungen. Die angeordneten, leicht verzerrten Monologe in der Gruppe sollen die Kommunikation vereinfachen. Ohne fremdfinanzierte Gipfeli und so ganz ohne kollegial-verbales Dazwischengrätschen macht das aber keinen Spass. Immerhin kann ich meinen ausgeprägten Voyeurismus nun voll ausleben – bezahlt! Ich falte also die Hände unterm Bauch, horche und äuge. Die Wände hinter meinem Capo (Peter) sind weiss und kühl wie dessen fröstelnde Seele. Die technisch inkompetente Kollegin (Heike) – nein, kein Genderdings, ein Fakt! –  erscheint später […]