«Meine Mutter hat mein Leben kaputt gemacht»

«Meine Mutter hat mein Leben kaputt gemacht»

Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Happy Ends. Dies ist die Geschichte eines Mannes, der sich für seinen Sohn gegen die Misshandlungen des Stiefvaters eingesetzt – und letztendlich gewonnen hat.

Der Tag, der alles veränderte, war der 23. Juni 2011. Der Vater weiss es auch fünfeinhalb Jahre später noch ganz genau. Der Anruf, dass er seinen Sohn binnen einer halben Stunde beim Beistand irgendwo im Rheintal abholen sollte, kam um 16 Uhr. Vier Jahre hatte der Vater bis zu diesem Punkt gekämpft. «Eine halbe Stunde ist zu wenig», sagte der Vater dem Beistand. «Ich brauche eine Stunde, um zu ihnen zu kommen.»

Am 23. Juni 2011 um ziemlich genau 17 Uhr durfte der Vater seinen Sohn in die Arme schliessen. «Er hat sofort zu weinen begonnen», sagt der Vater. Vor Erleichterung. «Er hat gesagt ‹endlich Papa, endlich. Du hast immer gesagt es kommt gut›.»

Der Vater lebt mit seinem Sohn irgendwo im Prättigau. In einem alten Bauernhaus mit Schafen, Ziegen, Kühen und Hühnern. Die Eier sind so beliebt, dass er sie auch in seinem Betrieb verkaufen kann. Die Tiere geben dem Sohn Geborgenheit. Nähe. Sie geben ihm vieles, was er in seiner Jugend vermisst hat. Vermissen musste.

Die Eheprobleme seiner Eltern begannen, als die Mutter mit ihm schwanger war. Erst zwei Jahre später kam der Vater dahinter, dass seine Frau zu diesem Zeitpunkt ein Verhältnis mit seinem besten Freund hatte. Als der Sohn auf die Welt kam, sagte die Mutter, sie müsse mehr arbeiten. Die Grossmutter, die Mutter des Vaters, betreute den Sohn und dessen ältere Schwester. Doch die Mutter arbeitete nicht – sie war bei ihrem Freund.

Anfang August 2002 kam es zum grossen Knall. Und damit zum ersten Wendepunkt im Leben der Kinder. Ein Wochenende, das sie mit einer Freundin verbringen wollte, stellte sich als Lüge heraus. Der Vater warf seine Frau hinaus, bevor sie richtig zur Türe hineingetreten war. Die Kinder blieben bei ihm. Drei Monate lang. «Dann wollte sie sie wieder. Wegen dem Geld.»

Die Kinder kamen ins Rheintal. Wohnten mit der Mutter und ihren wechselnden Männerbekanntschaften zusammen und verbrachten das Wochenende bei ihrem Vater im Prättigau. «Sie wollten nie zurück zur Mutter. Sie wollten bei mir bleiben.»

2006 lernte die Mutter einen Mann kennen, mit dem sie heute noch verheiratet ist. 2007 hatte der Sohn das erste Mal blaue und grüne Flecken am Rücken. «Der Hausarzt sagte mir: Glauben sie ja nicht, dass er die Treppe hinuntergestürzt ist.» Der Vater gab eine erste Kindswohlgefährdung heraus. «Ich habe ihnen gesagt, sie sollen mal vorbei gehen. Sie gingen auch vorbei. Angemeldet.»

Der Vater ist heute noch erschüttert, wenn er davon erzählt. Ende 2007 erzählte ihm der Sohn, dass er «wieder einmal dran gekommen» war. Der Vater ging erneut zur Vormundschaftsbehörde. Diesmal reagierten sie und gingen vorbei – unangemeldet. Und bekamen mit, wie der Stiefvater seinen Sohn bedrohte.

Diesmal begann die Maschinerie zu laufen. Der Sohn, der in der Schule durch Aggressionen aufgefallen war, bekam psychologische Unterstützung, die drei Erwachsenen eine Art Supervision. Die Situation beruhigte sich ein wenig. «Das Schlimmste war, dass alle gewusst haben, dass mein Sohn misshandelt wurde. Es war offensichtlich. Aber niemand hat etwas dagegen getan.»

Immer wieder wurde der Sohn vom Stiefvater geschlagen. Der lebhafte Bub wurde von der Mutter mit der Hilfe eines pensionierten Arztes ruhig gestellt. «Er musste ruhig sein. Der  Stiefvater hat den Lärm nicht ertragen.» Morgens, mittags und abends wurde das Kind mit Betäubungsmitteln vollgestopft.

2010 brach der Sohn in einer Therapiesitzung zusammen. «Plötzlich war der Knopf offen und er konnte darüber reden.» Der Psychologe gab sofort eine Kindswohlgefährdung heraus, doch auch diesmal mahlten die Mühlen langsam. Mehrmals wurde der Vater in seinem Haus besucht, auf eine kindergerechte Umgebung  geprüft und weiteren Bestimmungen unterzogen. Ausserdem musste die alte Schule dem Übertritt in die neue zustimmen.

Bis es am 23. Juni 2011 zum Showdown kam. «Die Mutter hat den Kanzlisten gefragt, ob er am nächsten Tag eine Todesanzeige in der Zeitung lesen wolle.» Sie hatte Angst vor ihrem Mann, sollte sie ohne den Sohn nach Hause kommen. «Der Kanzlist antwortete: Sie müssen sich entscheiden. Entweder ihr Kind oder ihr Mann.»

Die Mutter entschied sich für den Mann. «Sie haben mir das Leben kaputt gemacht», sagt der Sohn. Er hat noch immer tiefe seelische Wunden. «Aber er ist wieder glücklich», sagt der Vater. Zur Mutter gibt es keinen Kontakt, der Sohn hat ihre Nummer geblockt. Seit sie zweimal versuchte, den Buben zu entführen, hat sie ein Annäherungsverbot über fünf Kilometer.

Die Geschichte ist noch nicht ausgestanden. «Sie machen mir mit immer neuen Prozessen das Leben schwer. Mal geht es um Verleumdung, mal um Unterhalt.» Doch der Vater hat sein Ziel erreicht: Sein Sohn lebt jetzt bei ihm. Er geht noch immer in Therapie. Der Psychologe sagt, der Vater hätte einen Oscar verdient. «Ohne ihn wäre der Sohn in ein Heim gekommen.»

Vater und Sohn verbringen die Weihnachtstage zusammen in ihrem Häuschen. «Es ist Tradition, dass die Kinder zusammen den Baum schmücken.» Danach wird die Tochter, die mittlerweile eine höhere Fachschule besucht, die Weihnachtstage mit ihrem Freund verbringen.

Die Tochter war bei ihrer Mutter geblieben – der Ausbildung, die in der Nähe ihres Wohnortes statt fand, wegen. Der Stiefvater hat das ruhige Kind in Ruhe gelassen. Mittlerweile ist auch sie ausgezogen. Zur Mutter hat sie zwar Kontakt, aber keine gute Beziehung.

 

(Bild: zVg)

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.