Peter Peyer: «Deine Sozialversicherung, eine Stasi-Behörde?»

Peter Peyer: «Deine Sozialversicherung, eine Stasi-Behörde?»

Peter Peyer
19.04.2018

Im November 1989 ist die Berliner Mauer gefallen – und mit ihr das DDR-Unrechtsregime. Nach dem Mauerfall wurde das ganze Ausmass von Unterdrückung und Überwachung ersichtlich. Die «Staatsicherheitsbehörde», kurz Stasi, überwachte alles und jeden. Dank sogenannten «informellen Mitarbeitenden» war niemand vor Bespitzelung sicher, nicht einmal im engsten Familien- und Freundeskreis. Mit dem Fall der Berliner Mauer erlebte Europa einen neuen Schub an Freiheit und Demokratie.

Ausgerechnet der Schweiz, die sich in ihrem Selbstverständnis als der Hort von Freiheit und Demokratie wähnt, droht nun ein Stasi-ähnliches Regime. Diesmal nicht als Staat gegen die Bürgerinnen und Bürger, sondern von Versicherungen gegen ihre (Zwangs-)Versicherten. Unter dem Druck der Versicherungslobby hat das Bundesparlament in Windeseile den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsgesetzes neu zusammengeschustert: jetzt dürfen Krankenkassen, AHV, IV, Arbeitslosenkasse oder SUVA die Versicherten – also uns alle – mit Bild- und Tonaufnahmen im privaten Bereich überwachen. Erlaubt sind verdeckte Foto- und Filmaufnahmen nicht nur auf öffentlichem Grund, sondern auch an Orten, die «von einem allgemein zugänglichen Ort frei einsehbar sind». Der «Versicherungsdetektiv» darf den Garten und den Balkon überwachen. Pech gehabt, wer behindertengerecht Parterre wohnt und Stube oder Schlafzimmer von der Strasse aus einsehbar sind. Da wird die Privatsphäre durch Entscheid der Versicherung halt öffentlich.

 Es geht aber noch weiter: erlaubt ist auch die Überwachung durch Drohnen und GPS-Tracker, die an Fahrzeugen angebracht werden. Dazu braucht es eine richterliche Genehmigung. Der Bundesrat war dagegen. Denn damit erhalten die Versicherungskonzerne mehr Möglichkeiten als was bei der Überwachung von potenziellen Terroristen gesetzlich zugestanden wird. Kein schönes Gefühl für Menschen mit einer Behinderung, wenn der Rollator oder Elektrorollstuhl wie im Krimi des Bösewichts-Auto mit einem Peilsender bestückt werden kann. Und die Drohne, die über Ihrem Kopf schwirrt, macht keine spektakulären Landschaftsaufnahmen, sondern überwacht, ob Sie nach dem Bandscheibenvorfall nicht schon wieder zu fröhlich übers Feld joggen.

Übrigens: «Privatdetektiv» ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Im Gegensatz zu 12 anderen Schweizer Kantonen braucht es in Graubünden dazu auch keine Lizenz des Polizeidepartements. Das und der hohe Konkurrenzdruck machen die Branche zum Tummelplatz für allerlei verhinderte Berufspolizisten und überambitionierte Hobby-Colombos. Auch zum Schaden der seriös arbeitenden Detekteien und Polizeibehörden.

Unbestritten: Versicherungsbetrüger/-innen gehören bestraft, gleich wie Raser, Steuerhinterzieher, Ladendiebe und Mörder. Das ist Aufgabe der Polizei und Strafverfolgungsbehörden. Wer aber in einem freiheitlichen Rechtsstaat zu solchen Überwachungsmethoden greift, wie sie nun den Sozialversicherungen ermöglicht werden, der misstraut seinen Bürgerinnen und Bürgern zutiefst. Dieses Misstrauen macht eine Gesellschaft längerfristig kaputt. Die Reste der Berliner Mauer bleiben dafür Mahnmal.

Darum: das Bundesparlament hat Übermacht. Eine Korrektur ist nötig. Dank dem Referendum ist sie nun möglich. Nicht im Interesse von Laissez-fair bei Versicherungsbetrug. Sondern im Interesse unserer Freiheit als unbescholtene Bürgerinnen und Bürger.

Zum Referendum: https://pledge.wecollect.ch/de

 

(Bild: GRHeute)

Grossrat und Regierungsratskandidat der SP Graubünden, Trin