«Hippe Katalysatoren der Mittelstandslogik»

«Hippe Katalysatoren der Mittelstandslogik»

Sie sind verachtenswert, die Spielplätze dieses Landes. Hab lange Zeit geschwiegen. Wage erst heute laut darüber nachzudenken. Vielleicht, weil ich diesbezüglich aus dem Gröbsten raus bin. Die neue, erfolgreiche Elternklasse bevölkert frühfördernd die Spielplätze. Sie fühlen sich, gut gekleidet, «draussen zuhause», schleppen literweise selbst abgefülltes Quellwasser in Weithalsflaschen mit sich und verstauen den halben Haushalt im wasserdichten Daypack. Ob Grossstadtdschungel oder Nanga Parbat: Diese Frauen und Männer sind für alles bestens gerüstet!

Von minderer Qualität sind hie und da die Wortbeiträge der selbsternannt gebildeten MittelständlerInnen. Sie glauben, die Förderung ihres Kindes selber am besten zu verstehen und fangen deshalb früh damit an. Der zweiten Sozialisationsinstanz trauen sie nicht über den Weg, weshalb Zusatzförderangebote gerne früh und lange genutzt, zuweilen gar gefordert werden. Sie meinen zu wissen, dass die Bildung ihren Kindern den Erfolg in der Zukunft garantieren wird. Soweit so gut. – Gingen sie nicht der Alles-bleibt-gut-Erzählung auf den Leim, die sie selber im Grunde weiter befeuern und die sich möglicherweise dereinst jäh ins Gegenteil verkehren wird. Das aber nur als soziologisch inspirierte, äusserst kulturpessimistische Randnotiz. – Was sich ihrem Erfolg in den Weg stellt, ist übel. Und das Übel ist schnell ausgemacht: sogenannt Bildungsferne, MigrantInnen, Flüchtlinge, Sozialschmarotzer, kurz: der Pöbel – halt die von da «unten». Sie sind es, welche die zwischen Sandkasten und Schaukelpferd vorgeplanten Karrieren ihrer Kinder, und damit mutmasslich den eigenen Erfolg, empfindlich gefährden könnten. Was, wenn die den Bildungsimpact der Volksschule schmälern? Was, wenn die Gewalt in die Schule tragen. Oder was auch immer.

Die Konversationen der Mütter und Väter auf diesen Plätzen verraten, immer dann, wenn Noah-Adriano und Joanne-Felicitas mal ausnahmsweise nicht rummäkeln, Aufmerksamkeit erhaschen und das Gespräch Erwachsener stören, was diese jungen Leute eigentlich denken. Zu Sündenböcken degradiert, passen die Anderen nicht ins selbstgemalte Bild einer Welt, die so nur in den Köpfen der hippen Gewinner der oberen Mitte existiert. Aktives Zuhören im Sozialraum Spielplatz reicht, um festzustellen, dass diese Gruppe sich selbst doch recht nahe steht. Möglicherweise sind sie es, die, Katalysatoren gleich, die Reaktion auf die Umwälzungen der Gesellschaft der über dem Median lebenden heftig beschleunigen; hier, nicht an Stammtischen, werden primär die Mittelstandserzählungen geteilt und gefestigt. Hier lebt die Mär weiter. Die Produkte der Spielplätze sind, neben glücklichen Kindern, stereotype Denkweisen, platte Geschichten und mittelständische Hoffnungen. Sie werden an Partys für Bastelkram, dem sonntäglichen Unihockeymatch oder der rhythmischen Tanzgala frivol weiter getragen: identitätsbildende Massnahmen zur Rettung der angesagten, weltoffenen Mittelschicht, die Abweichung nicht duldet. Konformität mit der eigenen Logik und das leichte Lebensgefühl eines überzogenen Egos sind ihr das höchste Gut. Und Weithalsflaschen.

Die Zeilen kaum geschrieben frage ich mich, ob wir nicht alle ein bisschen auf diesem Spielplatz stehen. Was tun? Vielleicht reicht fürs Erste etwas reflexive Distanz und, im Sinne von Altmeister Descartes, Zweifel am Gegebenen. Die Neugier auf andere Erzählungen könnte den selbstverliebten Groove der introspektiven Weltsicht mal etwas stören. Und falls die Neugier die Ruhe nicht stört, tun es die zigtausend Chinesen, die gerade freudetaumelnd durch die Lande ziehen. Das bringt mich zu einem weiteren tauglich Ding in der misslichen Lage: Selbstironie. Ganz viel davon. Schluss. Ach: Dankbar wäre ich, wenn mal jemand Joanne-Felicitas’ Gequake abstellt. So könnte ich endlich in Ruhe meine Zeitung lesen!

PS: Die beste Einkaufs-Erfindung nach dem Self-Scanning, das ich nie nutze, ist der besondere Papiertaschenöffnungsservice der Dame, des Herrn an der Kasse. Eine echte Erleichterung, um den mich überfordernden Produktefluss am laufenden Band in den Griff zu bekommen. Ich bedanke mich immer redlich dafür. Nur: Was, wenn sie mehrere Papiertüten kaufen? Werden Ihnen alle akkurat aufgefaltet? Oder ist das des Guten zu viel? Unterschiede in den Kaufhäusern? Schreiben Sie mir!

(Bild: Unsplash)

Kolumnist Bildung & Soziales, Schulleiter, Dozent und eine COIRASONhälfte. Zum Essen trinkt er Rotwein, beim Schreiben Espresso.