„Im anständigen Ton Klartext reden“

„Im anständigen Ton Klartext reden“

Der Bündner Hotelier Andreas Züllig (FDP) und der Aargauer Winzer Andreas Meier (CVP) kandidieren für den Nationalrat. Beide stehen als Unternehmer für bürgerliche Werte, nachhaltiges Engagement und ein Umdenken im Umgangston in der Politik.

Urs Heinz Aerni traf sich mit ihnen in Lenzerheide und stellte Fragen.

Urs Heinz Aerni: Sie tragen nicht nur den gleichen Vornamen, sondern auch die Verantwortung für ein Unternehmen mit nicht wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und nun möchten Sie zudem auch noch eine Verantwortung im nationalen politischen Geschäft übernehmen. Kam dieser Entschluss über Nacht oder doch eher nach einem langen Hin und Her?

Andreas Meier: Die klassische Ochsentour in der Politik absolvierte ich nicht. Aber über verschiedene Vorstands- und Präsidialfunktionen in meiner Branche hat mich zumindest die „Berufspolitik“ stets begleitet. Inzwischen habe ich Erfahrung im Kantonsparlament und speziell in der Kommissionen VWA (Volkswirtschaft) sowie im Oberrheinrat. Im Grossen Rat – der Aargauer Kantonsregierung – mitwirken zu dürfen ist mir eine Ehre und gefällt mir sehr. Die Ratstätigkeit im nationalen Parlament ist sehr reizvoll, ich wäre für diese Aufgabe sehr motiviert.

Aerni: Und bei Ihnen Andreas Züllig, kein Spontanentschluss?

Andreas Züllig: Nein, ein solcher Entschied kommt nicht über Nacht. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der das Debattieren und Streitgespräche über Politik zum Familientisch gehörte. Das prägt. Ich habe schon 2011 für die FDP kandidiert. 2015 musste ich als neu gewählter Präsident von hotelleriesuisse leider absagen. Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank den Franken nicht mehr zu stützen hat mich im ersten Jahr im neuen Amt stark gefordert. Dieses Jahr ist die Konstellation sehr gut und ich habe mich relativ früh entschieden wieder zu kandidieren. 

Aerni: Sie beide vertreten eine Unternehmensphilosophie, zu der auch der nachhaltige Umgang mit der Umwelt gehört. Sie, Herr Meier, werden Bio-Winzer und Sie, Herr Züllig sind bekannt für den schonenden Umgang mit Energie sowie Fokussierung auf regionale Produkte. Hand aufs Herz, fühlen Sie sich in der richtigen Partei?

Züllig: Selbstverständlich. Zum Unternehmertum gehört auch Nachhaltigkeit in allen drei Bereichen. Sozial, ökologisch und ökonomisch.  Ich traue mir zu, dass ich in der FDP-Fraktion in Bern dieses Denken stärke und mich dabei sehr wohl gut aufgehoben fühle. Auch mein Vater und mein Grossvater waren als Unternehmer in der FDP Mitglied und haben diese Werte vertreten. 

Aerni: Die CVP, der richtige Ort für Sie, Andreas Meier?

Meier: Ja, davon bin ich überzeugt. Die Arbeit meiner Fraktion im Grossen Rat und, soweit mir bekannt, auch diejenige der CVP-Fraktion im Bundesparlament, ist geprägt durch sorgfältiges Abwägen. Sorgfalt im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und der Umwelt ist auf für ein Unternehmen sehr wichtig. Verantwortungsvoll tariert die CVP Dilemmas  aus, die sich bei politischen und gesellschaftlichen Fragen immer ergeben. Meine politische Heimat finde ich nur in einer Partei, die staatstragend und konsensorientiert handelt. 

Aerni: Die Globalisierung, Freihandelsabkommen zwischen den Kontinenten und internationale Konzerne fordern die hiesige Industrie sowie das Gewerbe heraus. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf auf Seiten der Politik? 

Meier: Eine international gute Nachbarschaft halt ich für äußerst wichtig. Als Unternehmer habe ich den Ehrgeiz in einem offenen Markt mit fairen Bedingungen zu reüssieren. Bei WTO-Verhandlungen und bei unseren europäischen Partnern müssen wir uns immer wieder aufs Neue einbringen. Exportsubventionen sind unfair, hier gilt die rote Ampel!  Unfair ist auch die staatlich Werbefinanzierung für Produkte und Dienstleistungen in Drittländern. Dass Nachbarstaaten in der Schweiz die Kosten für Ihre exportierenden Branchen oder Touristikangebote subventionieren, darf nicht länger hingenommen werden. Den Zugang zu Markt und Arbeit priorisiere ich vor der Vermögensverwaltung, dynamisches Wirtschaften vor statischem Verwalten. Einen Handlungsbedarf sehe ich zudem für ein Regulativ betreffend Verkäufe von Schweizer Firmen an Länder ohne eine uns zugängliche Börse. Solche Abverkäufe, wie beispielsweise bei der Syngenta, müssen verhindert werden.

Züllig: Die Balance zwischen der standortgebundenen lokalen Wirtschaft, die  Arbeits- und Ausbildungsplätze auch in den Randregionen anbietet,  Steuern und Abgaben zu bezahlen und scharfe Vorschriften einzuhalten  hat, und dem globalen Trend zu neuen Geschäftsmodellen sind für mich sicherlich eine der grossen Herausforderungen.

Aerni: Die da wären?

Züllig: Ich denke hier zum  Beispiel an neue Anbieter im Markt wie Airbnb oder Uber. Diese  Entwicklung wird sich durch die Digitalisierung in Zukunft noch verstärken. Hier gilt es von der Politik die richtige Balance zu finden zwischen freierem Unternehmertum und Regulierungen.

Aerni: Sie beide stehen seit Jahren Unternehmen vor, die funktionieren. Welche Erfahrungen, welches praktische Wissen könnten Sie im Nationalrat einbringen?

Züllig: Fähigkeit und Erfahrung mit Menschen unterschiedlichster Prägung zu  arbeiten ist, sowohl im Tourismus als auch in der Politik ein grosser Vorteil. Ich habe u.a. mit sehr vielen Fachleuten zu tun, die eine praktische Berufslehre gemacht haben. Diese positive Erfahrung ist in Bern sicher zu gebrauchen. 

Meier: Ein Unternehmen ist kein Parlament, wir sind vergleichbar mit der Exekutive.  Unternehmer beschäftigen sich tagtäglich mit Produktion, Personalwesen, Finanzwirtschaft, Kalkulation, Kundenkontakt etc. Sie umfassen das ganze Wirtschaftsleben und müssen erkennen, für welche Güter und Dienstleistungen der Kunde oder Konsument bereit ist, Geld  auszugeben. 

Aerni: Der Tourismus und die Hotellerie einerseits, die Weinkultur andererseits sehen sich vor großer Konkurrenz aus dem Ausland, dazu kommt noch der Ruf eines teuren Landes dazu. Mit welchen Qualitätskriterien möchten Sie die Kundschaft an der Stange halten?

Meier: Nebst meinem Beruf in der Weinbranche bin ich auch im Verwaltungsrat von „Aargau Tourismus“. Beides, Tourismus wie Weingut sind mir eine Herzensaufgabe.  Es freut mich, wenn es mir gelingt den Menschen Schönes zu zeigen und ihnen dadurch Freude bereite. Solange uns das gelingt, im Tourismus wie im Weinbau, werden wir treue Kunden behalten und neue gewinnen. Im Kanton Aargau laden die Flusslandschaften, mit sanftem Hügel und hübschen Dörfer ein zu Velotouren oder Wanderungen. Alle Angebote, von Schlössern über Bädern und von Kultur und Kulinarik des Tourismuskantons zu umschreiben sprengt hier den Rahmen. Für den Tourismus und generell für die Standortförderung braucht es eine sorgfältige und eine sich sensibel in die Landschaft einfügende Siedlungspolitik.

Aerni: Und was in Sachen edler Tropfen anbelangt?

Meier: In puncto unsere Weine schliesslich; sie überzeugen an internationalen Weinwettbewerben  regelmäßig, an Auszeichnungen fehlt es nicht. In Zukunft wollen wir unsere Weine auch überregional und international besser positionieren. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt, offensichtlich auch im internationalen Vergleich. Die biologische Produktion wird auf der Qualitätsstufe unserer Weine zunehmend erwartet.

Aerni: Also keine Discounter-Philosophie?

Züllig: In der Schweiz können wir nur auf Qualität setzen, um den nötigen Preis für unsere Dienstleistungen und Produkte zu erhalten. Das gilt sowohl für landwirtschaftliche als auch touristische Produkte und Dienstleistungen. Mit unserer Positionierung als Hotel mit Kultur, regionalen Produkten, herzlicher Gastfreundschaft und einem vielfältigen und stilvollen Angebot an Infrastruktur, können wir uns von der Masse abheben. Eine klare Fokussierung und Segmentierung ist als Unternehmen sehr wichtig, um die passenden Gäste zu begeistern.

Aerni: Zurück zur Politik: Der Ton der Debatten unter der Bundeshauskuppel hat sich in den letzten Jahren verschärft. Soll dies angegangen werden oder gehört das einfach zum guten Ton des Zeitgeistes?

Züllig: Nein ich glaube nicht, dass man einen solchen Umgang miteinander einfach akzeptieren muss. Ich bin es mich gewohnt zuzuhören, zu verstehen und mit den richtigen Argumenten zu überzeugen und in einem anständigen Ton Klartext zu sprechen. Das hat die direkte Demokratie und die Diskussionskultur in der Schweiz geprägt. Damit sind wir sehr gut gefahren. Ich möchte an diesen Grundwerten festhalten

Meier: Die Polarisierung im Parlament spiegelt vielleicht die Gesellschaft mit ihrer Oberflächlichkeit und Ichsucht. Die Mitteparteien müssen lernen markiger zu argumentieren, zu kämpfen um die Sache, aber immer klar und nicht polemisch.

Aerni: Sie beide vertreten sehr unterschiedliche Kantone, den Aargau und das Graubünden. Nennen Sie uns zwei Eigenschaften des anderen Kantons, den Sie in Ihrem vermissen?

Meier: Andreas Züllig wird wohl nicht so viel nennen können wie ich? Der Kanton Graubünden hat ein tieferes Selbstverständnis. Der Aargau sucht diese Identität seit seiner Gründung vor über 200 Jahren. Der Kanton Graubünden hat zudem ein Bewusstsein für seine Aussenwirkung, speziell für den Tourismus und seine Naturschönheiten. Mit dem touristischen Angebot des Kanton Graubünden hält der Aargau nicht mit. Aber ich bin überzeugt, dass ich einen Bünder Hotelier auf einer Velotour, bequemerweise mit einem E-Bike, für unsere Landschaft begeistern kann.

Züllig: Der Kanton Aargau hat sehr viel zu bieten. Schöne Naturreservate, alte Städte und Burgen. Leider ist der Kanton Aargau nicht so bekannt als  Tourismusregion. Ich vermisse kulinarische Spezialitäten wie eine feine Rüeblitorte oder Badener Steine. Sie sehen, ich bin eher süss orientiert.

Aerni: Wo sehen Sie Parallelen zwischen Aarau und Chur?

Züllig: Chur und Aarau sind wichtige Kleinstädte mit urbanem Charakter auf den Handelsruten Ost/West oder Nord/Süd. Beide nehmen in ihrem Kanton eine bedeutende Zentrumsfunktion ein. Die Städte haben sich ähnlich entwickelt, wobei es das grössere Chur seiner peripheren Lage wegen etwas schwieriger hat, wettbewerbsfähig zu sein. Geschichte und Kultur mit den wechselhaften Entwicklungen sind in beiden Städten sehr ähnlich.

Meier: Beide Kantone profitieren vom Finanzausgleich. Sonst sind die Parallelen nicht sehr offensichtlich. Beides sind keine sehr einheitlichen Gesellschaften. Im Kanton Aargau haben die Bürger eine starke regionale Verankerung. Viele sind eher Badener, Freiämter, Aarauer als Aargauer. Beide Kantone haben keine großen Hauptstädte, entsprechend ist die Politik nicht zentralistisch dominiert. 

Aerni: Wo und bei welchen Themen erhoffen Sie sich Bewegung nach Ihrer Wahl?

Meier: Es sind dieselben Themen des produzierenden Gewerbes, der Familienunternehmen und die Themen, welche ich in der Kommission Volkswirtschaft und Abgaben im Kantonsparlament erlebe, einfach auf nationalem Niveau.  Internationale Beziehungen, wie ich sie im Oberrheinrat mit den Nachbarn Baden-Württemberg und Elsass mitberaten darf, würden mich auch im Parlament in Bern Niveau sehr interessieren.

Züllig: Ich möchte gerne dem Tourismus, der Hotellerie und den peripheren Gebieten in der Schweiz eine Stimme und ein Gesicht geben. Der Wert dieser Lebens- und Wirtschaftsräume wird nach meiner Meinung in Zukunft immer wichtiger. Die intakte Natur, Ruhe, Erholung, als Rückzugsorte für Geist und Seele werden in der globalisierten Welt immer wichtiger. Wirmüssen diese Regionen der Schweiz erhalten und nachhaltig weiterentwickeln, ohne ihre Identität zu zerstören: Als attraktiven Wirtschafts- und Lebensraum.

Aerni: Zum Schluss: wir wissen, was man einem Jäger oder einem Fischer wünscht, was dürfen wir Ihnen, Herr Züllig als Hotelier und Nationalratskandidat wünschen?

Züllig: Mir dürfen Sie wünschen, dass der Wahlkampf weiterhin viele Begegnungen mit Menschen bringt und der Spass und die Freude, sich für etwas zu engagieren erhalten bleibt.

Aerni: Und Ihnen, Herr Meier, Ihnen als Winzer?

Meier: Ein „Zum Wohl“ vielleicht? Wünschen Sie einem Winzer gutes „Rebenwetter“ und dass er verschont bleibe vor Unwetter und komplizierten oder trockenen Zeitgenossen.

Andreas Züllig

1958 geboren, wuchs in einem Hotel mit 15 Zimmern auf. Für ihn sei die Mitarbeit im elterlichen Kleinbetrieb selbstverständlich und so habe er das unternehmerische Denken gelernt. Nach der Kochlehre folgen die Arbeit als Koch und die Hotelfachschule in Lausanne. Seit 1991 führt er mit seiner Frau Claudia in Lenzerheide das Hotel Schweizerhof. Als Präsident des Verbandes hotelleriesuisse setzt er sich landesweit für den Tourismus ein und er engagiert sich als Verwaltungsrat der Hotelfachschule in Passugg gegen den Fachkräftemangel. Er ist Vater von zwei Söhnen.

Andreas Meier

1962 geboren, übernahm den elterlichen Betrieb des Weinguts in Würenlingen, sein Bruder das Restaurant. Als Inhaber des Weinguts zum Sternen und einer Rebschule, Verwaltungsrat-Präsident der Besserstein Wein AG und Präsident der IG Jungreben verfolgt er das Ziel, den Aargauer Wein in weitere Kreise und Märkte einzuführen. Zudem gehören zu seinen beruflichen Tätigkeiten auch Lehr- und Weiterbildungsaufträge. Politische Erfahrungen sammelte Andreas Meier u. a. im KMU-Verband, in der Aargauer Kantonsregierung als Grossrat und als Mitglied des trinationalen Oberrheinrats für die Zusammenarbeit der Regionen Elsass, Nord- und Südbaden, Südpfalz und Nordwestschweiz. Er ist Vater von zwei Töchtern.

(Bilder: Heinz Tobler)

Kulturmacher im Hotel Schweizerhof Lenzerheide und freischaffender Journalist