Ein Beitrag zur Bildunssituation in der Schweiz von Nationalrat Martin Candinas (CVP).
Überall hört man Lobeshymnen auf das duale Bildungssystem und die Höhere Berufsbildung in der Schweiz. Auf dem Markt gehören die Absolvierenden in vielen Branchen zu den meistgesuchten Arbeitskräften. In der Politik hingegen verliert die Höhere Berufsbildung dennoch zusehends an Boden. Wie können wir Gegensteuer zu dieser Entwicklung geben?
Die Höhere Berufsbildung wird in der Schweiz meist in den höchsten Tönen gelobt. Man ist stolz auf das duale Bildungssystem und bezeichnet dieses oft als Heilsbringer für die KMU-Schweiz, ein echt schweizerischer «Turboantrieb» hinsichtlich gesellschaftlicher Integration, persönlicher Entfaltung und wirtschaftlicher Leistung. Das System hat sich in der Schweiz in der Praxis bewährt.
Erfolgsgeschichte hin oder her, das System ist in den letzten Jahren ins Wanken geraten. Denn allem Lob zum Trotz kämpft die Höhere Berufsbildung um ihren Platz in der Zukunft. Der jüngst erschienene Bildungsbericht Schweiz 2018 zeigt unverblümt ihre schwindende Bedeutung inmitten der rasch voranschreitenden Höherqualifizierung der Bevölkerung. Seit fünfzehn Jahren stagniert die Anzahl der Abschlüsse der Höheren Berufsbildung, während die Fachhochschul-Bachelors ein enormes Wachstum erlebt haben. Perplex stellt man sich die Frage: Wenn die Berufsbildung stets gefeiert wird und der Arbeitsmarkt ihre Absolventinnen und Absolventen bereitwillig abnimmt – warum verliert diese zusehends an Boden?
Betrachten wir das Beispiel der Höheren Fachschulen (HF), die im letzten Jahr rund 8700 Absolventinnen und Absolventen hervorbrachten. Sie vermitteln im Lauf eines zumeist dreijährigen Studiums Kompetenzen, die präzise auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zugeschnitten sind. Der Praxisbezug ist dabei unschlagbar, nimmt die Arbeitswelt doch direkten Einfluss auf die Rahmenlehrpläne. Jeder einzelne Bildungsgang durchläuft ein aufwändiges eidgenössisches Anerkennungsverfahren. Mit mangelnder Relevanz oder Qualität ist die Frage nach der schwindenden Bedeutung erwiesenermassen nicht zu beantworten. Auch die Wirtschaft ist auf längst auf Absolvierende, die sich im Normalfall berufsbegleitend und eigenmotiviert der Weiterbildung stellten, aufmerksam geworden.
Wer sich mit den Erfahrungen der Absolventen und jenen der Schulen beschäftigt, stösst dagegen bald auf gewichtige Gründe für die existierenden Schwierigkeiten. Einer der Hauptgründe ist sicher, dass ein Studium HF eine vergleichsweise hohe finanzielle Belastung bedeutet. Die Studiengebühren betragen nicht selten das Dreifache verwandter Bachelor-Studiengänge. Ist der Abschluss geschafft, geniesst ein Titel wie «dipl. Technikerin HF Elektrotechnik» unter Fachleuten zwar grosse Anerkennung. In Zeiten der Globalisierung hilft dies aber bestenfalls in der Schweiz weiter.
Für die Absolventen der HF steigt der Erklärungsbedarf, denn international dominieren die Hochschulabschlüsse. Dies wird in Graubünden mit den vergleichsweise vielen HF-Abschlüssen in den Bereichen Technik, Wirtschaft, Tourismus und Hotellerie besonders augenfällig. Absolvierende müssen HR-Verantwortlichen im Ausland und immer häufiger auch im Inland vermitteln, was die schweizerische Höhere Berufsbildung, bzw. ihr HF-Diplom, (wert) ist. Dabei ist es für Aussenstehende nicht ersichtlich, dass das Diplom HF überhaupt zur tertiären Berufsbildung gehört. Denn anders als bei allen anderen Qualifikationen des Tertiärbereichs dürfen die Absolventinnen und Absolventen der HF nicht den Zusatz «eidgenössisch» im Titel führen. Ihre Diplome tragen auch nicht das Logo mit dem eidgenössischen Wappen und werden nicht vom Bund unterzeichnet. Ein ähnliches Problem betrifft den Status der Schulen. International ist die Seriosität einer Bildungsinstitution eine Orientierungshilfe erster Güte. Eidgenössisch anerkannt werden in der Schweiz aber nicht die durchführenden Institutionen, sondern die einzelnen HF-Bildungsgänge. Die Bezeichnung «Höhere Fachschule» ist bis heute nicht geschützt. Dies schwächt bei uns z.B. die Stellung der SSTH, der Academia Engiadina, des BGS und der ibW Höhere Fachschule Südostschweiz.
Dass die höhere Berufsbildung unter Druck geraten ist, beschäftigt auch die Verwaltung. Diplomzusätze, englische Titelübersetzungen und ein nationaler Qualifikationsrahmen für die Berufsbildung sind lanciert worden. Im Vergleich zur klassischen, internationalen Währung offizieller Diplome machen sie jedoch, wie Erfahrungen zeigen, auf dem Arbeitsmarkt wenig Eindruck und sind den Diplomierten keine verlässliche Hilfe.
Heute Mittwoch wird der Nationalrat über eine Motion zur Stärkung und besseren Positionierung der Höheren Fachschulen beraten. Diese Chance gilt es zu nutzen. Die höhere Berufsbildung verdient eine starke Zukunft. Deswegen dürfen ihre Rahmenbedingungen nicht im Status quo vergessen werden, während der Rest der Welt sich weiterbewegt. Diese kulturell erworbenen schweizerischen Errungenschaften gilt es darum nicht nur zu loben, sondern auch zu pflegen.
(Bild: Symbolbild Pixabay)