Seit wann redest du plötzlich so um den Brei herum?

Seit wann redest du plötzlich so um den Brei herum?

Luzi Wieland
06.03.2019

Ja, das fragte mich kürzlich mein Freund. Ich wusste zuerst nicht was er meint. Um den Brei? Doch ich begriff schnell, mir ist die Schweizer Höflichkeit rausgerutscht.
Er korrigierte sofort mein „Hättest du am Wochenende vielleicht Zeit, um zu telefonieren?“ in ein „Wann hast Zeit?“. Und lachte mich aus. Kann passieren. Und ich wusste auch gleich woran das wohl liegen könnte.

Seit ich hier in Madrid studiere, muss ich mich schon wieder in einer ganz neuen Kultur integrieren. Aber hier kommt es mir sogar entgegen, dass ich aus einem Land komme, wo man sich für alles entschuldigt. Wenn man etwas fragt, wenn man etwas von jemandem möchte – und sei es nur die Rechnung im Restaurant. „Entschuldigung, wärs ächt möglich mit dr Rächnig, mier würdend denn gern zahla wenn si Ziit hend“. In Berlin lachte man mich aus, oder fragte sich, ob mit mir etwas nicht stimmt. Auch in Spanien ist man direkter: „La cuenta!“ oder wenn man nett ist „La cuenta por favor!“. Die Rechnung (bitte). Ich fall immer wieder drauf rein. Mein französischer Mitbewohner hat mich bei meinem ersten Zahlungsversuch mit grossen Augen beobachtet. Wenn man mit „Entschuldigung“ schon anfängt, denkt der Kellner erstmal man wolle sich beschweren. Ich wollte nur nett sein. Wir kennen das. Wir machen uns ja auch lustig oder finden es gar unhöflich, wenn ein Deutscher bei uns mit „Ich krieg n Bier“ bestellt. Das geht natürlich bei uns gar nicht. Aber meinen tun es alle eigentlich gleich nett. Nur das mit der interkulturellen Verständigung ist manchmal echt schwer.

Apropos Verständigung: Hallo übrigens. Entschuldigung – Ich bin der Neue hier. Luzi, angenehm. In Graubünden aufgewachsen und an der HTW studiert, hat es mich zuerst mit Erasmus und dann mit wachsendem Fernweh nach Europa verschlagen. Zuerst nach Berlin – eine taffe Stadt. Und jetzt nach Madrid – eine stolze Metropole. Und als überfreundlicher, Bündner wurschtle ich mich auf verschiedenen Sprachen durch die Herausforderungen dieser Grossstädte. Beide haben ähnlich viele Einwohner. Zählt man die ganze Stadtregion, dann haben sie sogar jeweils so viel Einwohner wie die ganze Schweiz zusammen, sind aber so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Quasi spanische Gluthitze und Berliner Darkrooms – ich werde dir von beidem noch erzählen. Und damit zurück ins Studio.

Im Moment bin ich also von knöcheltiefen Fettnäpfen nur so umgeben. Von einem extrem, rutschte ich ins andere. Bzw. ich stampfte. Spagat der Kulturen. Ein Chef in der deutschen Hauptstadt sagt dir direkt „das ist scheisse, nochmal machen bitte!“. In Spanien würde er sagen „Das ist ein interessanter Ansatz! Aber…. man könnte das noch erweitern“. Das berühmte „pero…“, wenn jemand hier „aber“ sagt, dann muss man gut hinhören, denn dann kommt die versteckte Kritik. Mir fällt es daher hier leichter, denn bei uns in der Schweiz ist das ähnlich. Man fügt vielleicht zuerst noch ein kritischer Blick mit einem „Ich weiss nicht… hmm“ davor ein. Es geht darum den anderen nicht zu verletzen. Wie passt aber nun die Deutsche Direktheit dazu? Ein anderes Beispiel. Wenn mir ein Berliner am Morgen sagt „Du siehst aber heute scheisse aus!“, dann meint er es nett und drückt mir nicht nur sein Mitgefühl aus, sondern vermittelt mir auch, dass er es immer ehrlich mit mir meinen wird. Er zeigt mir damit seine Wertschätzung. Hier im Süden wäre das aber eine Todsünde. Bei Gefühlen darf man im Gegensatz zur Rechnung bestellen auf keinen Fall direkt sein. „Du siehst gut aus heute! Hast du abgenommen?“ – Auch wenn ich grad den letzten Fetzen anhabe und die Festtage eher genossen habe. Auch der Spanier sagt mir, dass er mich wertschätzt – damit, dass er mir quasi verspricht, mich nie zu kritisieren, wenn es angebracht wäre und immer hinter mir steht. So darf man bei Einladungen niemals direkt ablehnen, wenn man nicht kann oder will. Man setzt pflichtbewusst zu einer Erklärung an, dass man ja so gerne gekommen wäre, peeero…. man leider aus unglücklichsten Umständen heraus gerade nicht könne und man so gerne dabei gewesen wäre – ganz bestimmt das nächste Mal! Die Berliner Schnauze schaut mich nach so einem Satz mit einem sichtlichen „Verarsch mich nicht?!“ in den Augen zuerst mal verdutzt an. Dabei wollen sie beide nur nett sein und mir mit Hingabe ihre Freundschaft versichern, jedoch jeder auf seine eigene Weise.

Aber als Bündner ist man sogar den Spaniern viel zu nett. So muss ich nun lernen, die Rechnung mit etwas Überwindung schreiend zu bestellen, weil ich sonst gar nicht erst wahrgenommen werde. Und von meinem deutschen Freund will ich ebenfalls in der Beziehung nicht ständig zu hören bekommen, man sei viel zu nett und zu lieb. Das ist gar nicht so einfach. Der erwähnte hier in Madrid schon fast einheimische aber aus Frankreich stammende Mitbewohner war kürzlich für ein Wochenende das erste Mal in Berlin und kehrte ganz verstört zurück – die Deutschen seien aber auch ganz und gar unfreundlich und gleichgültig. Ich war dann doch so lieb und hab es ihm versucht zu erklären. So bin ich halt, tut mir leid. Also nicht leid. Also tut es schon, also… Ich glaub du hast’s jetzt begriffen. Die Sprachdebatte verschieben wir auf später, wir kommen noch dazu, versprochen.

In diesem Sinne, bis bald wieder live aus Teufels Küche,

Euer Luzi

Auslandbündner der in Madrid studiert, in Berlin gewohnt hat und grosse Schuhe mag.