Noch vor wenigen Jahren glich der Blick auf den deutschsprachigen Online-Glücksspielmarkt einem Blick in den Nebel. Grauzonen dominierten. Verwirrung war der Normalzustand. Wer durfte was? Und vor allem: Wo? Diese Zeiten der gesetzlosen Wildwest-Romantik sind vorbei. Endgültig.
Sowohl in Bern als auch in Berlin hat der Gesetzgeber inzwischen Tatsachen geschaffen und Nägel mit Köpfen gemacht. Doch wer nun vermutet, dass die beiden Nachbarn aufgrund ihrer kulturellen Nähe ähnliche Pfade beschreiten, der irrt gewaltig. Die Realität könnte widersprüchlicher kaum sein. Auf der einen Seite des Rheins setzt man auf liberalen Pragmatismus und etablierte Partner, auf der anderen regiert ein bürokratisches Monstrum, das selbst Experten den Kopf schütteln lässt. Es ist ein faszinierendes Lehrstück darüber, wie unterschiedlich Politik auf denselben digitalen Trend reagieren kann.
Während Deutschland lange zögerte und sich in endlosen Debatten der Bundesländer verhakte, preschte die Schweiz mit einer bemerkenswerten Klarheit voran. Das Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle durch Alteingesessene ist besser. Das Geldspielgesetz von 2019 machte kurzen Prozess mit ausländischen Glücksrittern. Marktöffnung? Ja, aber nur für die Familie. Lizenzen für Online Casinos in der Schweiz sind heute exklusiv an jene Betreiber gekoppelt, die bereits physische Spielbanken im Land unterhalten. Wer kein Grand Casino aus Ziegel und Mörtel vorweisen kann – sei es in Luzern, Davos oder Zürich – bleibt draussen vor der Tür. Netzsperren sorgen technisch dafür, dass unerwünschte Gäste gar nicht erst eintreten. Ein harter Schnitt. Aber einer, der funktioniert.
Das Schweizer Modell: Qualität statt Masse
Diese radikale Exklusivität mag auf den ersten Blick protektionistisch wirken. Ist sie auch. Doch dahinter steckt eine Logik, die sich für die eidgenössische Gesellschaft auszahlt. Indem man das digitale Geschäft den lokalen Platzhirschen überlässt, sichert man nicht nur Standards, sondern auch Einnahmen. Es fliesst nichts ab in Steuerparadiese. Jeder Franken, der digital verloren wird, landet in einem System, das letztlich der Allgemeinheit zugutekommt. Ein grosser Teil der Erträge fliesst direkt in die AHV und in die Kassen der Standortkantone.
Gerade für Kantone wie Graubünden, wo der Tourismus und das Dienstleistungsgewerbe die Lebensadern sind, ist das essenziell. Die dortigen Casinos sind mehr als blosse Unterhaltungstempel; sie sind Arbeitgeber und indirekte Steuerzahler. Wenn diese Häuser nun auch digital florieren dürfen, stabilisiert das die gesamte Wirtschaft Graubündens nachhaltig. Man stärkt die Regionen, statt internationale Konzerne zu mästen.
Aus der Perspektive des Spielers fühlt sich das Schweizer System erstaunlich «erwachsen» an. Es gibt keine staatliche Bevormundung durch pauschale Limits für jedermann. Wer solvent ist, darf spielen. Die Verantwortung liegt beim Individuum und beim Betreiber, der auffälliges Verhalten erkennen muss. Es ist ein System, das den Bürger nicht unter Generalverdacht stellt, sondern ihm Freiheiten lässt, solange er damit umgehen kann.
Deutschland: Der Staat am virtuellen Spieltisch
Der Kontrast könnte schärfer nicht sein, wenn man den Blick nach Norden wendet. Mit dem Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) 2021 wollte Deutschland den riesigen Schwarzmarkt austrocknen und in legale Bahnen lenken. Das Ergebnis wirkt jedoch oft wie der Versuch, einen Formel-1-Wagen mit angezogener Handbremse zu fahren. Der deutsche Gesetzgeber hat ein Regelwerk erschaffen, das vor allem eines tut: den Spielfluss massiv stören.
Man stelle sich vor, man sitzt an einem virtuellen Automaten. In Deutschland darf man maximal einen Euro pro Walzendrehung setzen. Nicht mehr. Und dann? Warten. Zwangspause. Zwischen jedem einzelnen Spin müssen zwingend fünf Sekunden vergehen. Was nach einer kurzen Zeitspanne klingt, fühlt sich für routinierte Spieler wie eine Ewigkeit an. Die Dynamik ist weg. Funktionen wie «Autoplay», die das Spiel komfortabler machten, wurden komplett verboten. Auch die beliebten progressiven Jackpots fielen dem Rotstift zum Opfer.
Das wohl umstrittenste Instrument ist jedoch das anbieterübergreifende Einzahlungslimit. Maximal 1.000 Euro im Monat darf ein deutscher Spieler einzahlen – und zwar nicht bei einem Anbieter, sondern summiert über alle legalen Plattformen hinweg. Überwacht wird dies von einer zentralen Datenbank namens LUGAS. Datenschützer raufen sich die Haare, Spieler fühlen sich gegängelt. Kritiker aus der Branche warnen seit Einführung der Regeln: Wenn das legale Angebot so unattraktiv, langsam und limitiert ist, treibt man die Kunden geradezu zurück in die Arme illegaler Anbieter aus der Karibik, die solche Bremsklötze nicht kennen. Der gut gemeinte Spielerschutz wird so zum Bumerang.
Zwei Philosophien beim Schutz der Verletzlichen
Auch beim Thema Suchtprävention offenbart sich der tiefe Graben zwischen den Nachbarn. Deutschland setzt auf harte Technik und die «One-Click»-Lösung. Der sogenannte «Panik-Button» muss auf jeder Seite permanent sichtbar sein. Ein Klick – oft auch versehentlich – und der Spieler ist sofort für 24 Stunden bundesweit gesperrt. Das System OASIS riegelt alles ab. Es ist eine mechanische, fast schon aggressive Form des Schutzes.
In der Schweiz wählt man das Skalpell statt den Hammer. Hier greifen Sozialkonzepte. Die Casinos sind verpflichtet, das Verhalten ihrer Kunden aktiv zu überwachen. Steigen die Einsätze plötzlich rasant? Verändert sich die Frequenz? Dann muss das Personal das Gespräch suchen. Laut Berichten der Eidgenössischen Spielbankenkommission (ESBK) finden jährlich tausende solcher Interventionen statt. Es ist der menschliche Faktor, der hier zählt. Man redet miteinander, statt den Nutzer einfach algorithmisch auszusperren. Experten bewerten diesen Ansatz oft als nachhaltiger, da er zur Selbstreflexion anregt und nicht nur eine technische Schranke herunterlässt.
Ein Blick in die Zukunft
Am Ende bleibt die spannende Frage: Welcher Weg wird sich langfristig durchsetzen? Die Schweiz scheint mit ihrem konservativen, aber liberal ausgestalteten Modell derzeit die stabileren Karten zu haben. Die Kanalisierung funktioniert, die Umsätze bleiben im Land, und die Akzeptanz bei den Spielern ist hoch, weil das Produkt attraktiv bleibt.
Deutschland hingegen führt ein gewagtes Experiment durch. Der Versuch, einen Markt durch Überregulierung zu zähmen, wandelt auf einem schmalen Grat. Sollten die Spieler die strikten Limits und Zwangspausen dauerhaft ablehnen, droht die gut gemeinte Reform zu scheitern, weil der Schwarzmarkt schlichtweg das bessere Nutzererlebnis bietet. Bis sich in Berlin vielleicht die Erkenntnis durchsetzt, dass zu viel Schutz erdrückend wirken kann, bleibt den deutschen Spielern oft nur der neidvolle Blick über die Grenze – in ein Land, das seine Bürger noch als mündige Kunden behandelt.
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