Zahlenspiele zur Bundesratswahl

Zahlenspiele zur Bundesratswahl

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Stimmen waren noch nicht einmal ausgezählt und schon argumentierten die Parteipräsidenten, weshalb die SVP einen zusätzlichen Bundesrat erhalten soll oder eben nicht.

Nach Wähleranteilen hätte die SVP als einzige Partei Anspruch auf zwei Sitze. Politiker sind aber immer sehr findig in der Kreation von neuen Argumenten und so wollen auch wir ein paar Varianten ins Spiel bringen.

Konkordanz

Die Zauberformel heisst: „Je zwei Sitze für die grössten drei Parteien, einen Sitz für die viergrösste Partei.“ Die einzige (zumindest in der Vergangenheit) anerkannte Form der Sitzverteilung im Bundesrat würde zu folgender Verteilung führen:

  1. SVP 2 Sitze
  2. SP 2 Sitze
  3. FDP 2 Sitze
  4. CVP 1 Sitz

Die Folge wäre ein rechts-bürgerlicher Bundesrat (4 Sitze für die Rechte – 1 Sitz für die Mitte – 2 Sitze für die Linke). Eveline Widmer-Schlumpf müsste einem neuen SVP-Bundesrat weichen.

Wähleranteile

Die Grünen wünschen sich schon lange einen Bundesrat. Um dies zu ermöglichen, könnte man nun die Sitze prozentual nach Wähleranteilen verteilen und dabei immer derjenigen Partei einen Bundesrat zuteilen, die am nächsten bei einem Anrecht auf einen Sitz ist. Das sähe dann so aus:

  1. SVP 2.1 Anrechte > 2 Sitze
  2. SP 1.3 Anrechte > 1 Sitz
  3. FDP Anrechte 1.1 > 1 Sitz
  4. CVP Anrechte 0.8 > 1 Sitz
  5. Grüne Anrechte 0.5 > 1 Sitz
  6. GLP Anrechte 0.3 > 1 Sitz

Mit diesem Modell würden Minderheiten eingebunden. Die BDP würde jedoch selbst bei diesem Modell keinen Anspruch auf einen Bundesrat haben. Da zudem SP, FDP und CVP auf einen Sitz verzichten müssten und die Regierung im Endergebnis eher Mitte-Links wäre, erscheint diese Variante ziemlich unwahrscheinlich.

Spiel in die andere Richtung

Hauptprogrammpunkt der SP scheint es im Moment zu sein, einen zweiten SVP-Bundesrat zu verhindern. Wie die SP es mit der SVP beim Thema Zuwanderung macht, so könnte die Rechte genauso gut in Richtung SP argumentieren: „Wer den Kapitalismus überwinden und die Armee abschaffen will, hat kein Anrecht auf zwei Sitze im Bundesrat“. Die Zusammensetzung des Bundesrates sähe dann wie folgt aus:

  1. SVP 2 Sitze
  2. FDP 2 Sitze
  3. CVP 2 Sitze
  4. SP 1 Sitz

Die CVP könnte zudem freiwillig auf einen Sitz verzichten und so Eveline Widmer-Schlumpf eine weitere Legislatur ermöglichen. Dass die SP da mitmachen würde, darf bezweifelt werden. Umgekehrt kann man sich aber auch fragen, weshalb sich die SVP mit einem Sitz begnügen sollte.

Koalitionsregierung

Eine komplette Abkehr vom schweizerischen System wäre eine Koalitionsregierung. Diese Form der Regierungsbildung ist in anderen Ländern sehr verbreitet. Zuerst würde die SVP das Mandat für eine Regierungsbildung erhalten. Eine Mitte-Rechts-Regierung könnte dann wie folgt aussehen:

  1. SVP 3 Sitze
  2. FDP 2 Sitze
  3. CVP 2 Sitze

Kneift die CVP oder dann die BDP (mit ihr wäre eine Mitte-Rechts-Regierung auch möglich), so würde die SP als zweitstärkste Partei eine Regierung bilden dürfen. Mitte-Links würde dann so aussehen:

  1. SP 2 Sitze
  2. CVP 2 Sitze
  3. BDP 1 Sitz
  4. Grüne 1 Sitz
  5. GLP 1 Sitz

Die Einbindung der stärksten Kräfte in die Regierung hat sich in der Vergangenheit ausgezahlt und man darf deshalb davon ausgehen, dass alle Parteien dieses Erfolgsmodell nicht aufs Spiel setzen wollen. Die Variante Koalitionsregierung fällt deshalb ausser Betracht. Interessant zu verfolgen wäre jedoch, auf welcher Seite sich die CVP als Zünglein an der Waage in eine Regierung einbringen würde.

Prognose

Weder „er“ noch „sie“ hat Recht. Eveline Widmer-Schlumpf muss nicht zurücktreten. Aber wenn sie schlau ist (und das soll sie ja sein), dann wird sie zurücktreten. Folgende drei Überlegungen wird sie sich machen und zum Schluss kommen, dass ein Rücktritt richtig ist:

1. Argument „Das Beste für das Land“

Sie verhindert eine grosse Blockade in der nächsten Legislaturperiode, ermöglicht die SVP in die Verantwortung einzubinden und respektiert den Wählerwillen.

2. Argument „Der persönliche Ehrgeiz“

Bei ihrer Wahl hat Eveline Widmer-Schlumpf argumentiert, dass sie diese Wahl nicht ablehnen könne. Ihr Ehrgeiz sollte nun gestillt sein und mit dem Rücktritt kann sie sich erhobenen Hauptes (siehe Argument 1) vermehrt ihren Enkeln widmen.

3. Argument „Wahlchancen“

Ignoriert man die wohl kleinen Veränderungen im Ständerat, so wird es auch arithmetisch bei weitem nicht für eine Wiederwahl reichen. SVP, FDP, Lega und MCR kommen nämlich bereits auf 118 Stimmen und werden wohl geschlossen für einen zweiten SVP-Bundesrat wählen. Es fehlen also nur sechs Stimmen für eine Mehrheit. In der CVP haben sich bereits einige Politiker (Filippo Lombardi, Gerhard Pfister) offen für eine Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf ausgesprochen und es geisterte auch schon die Zahl von 1/3 der CVP-Fraktion herum, welche Eveline Widmer-Schlumpf nicht mehr wählen will.

So oder so bleiben Fragen: Was, wenn Eveline Widmer-Schlumpf die obigen Argumente zwar einsieht, aber als Märtyrerin mit wehenden Fahnen untergehen will? Und wann ist der richtige Zeitpunkt für ihren Rücktritt? Ein früher Rücktritt (an der heutigen Bundesratssitzung oder Ende Monat am BDP-Parteitag) würde der SVP wohl freie Hand für jedes Zweierticket geben. Ob sie das will?

 

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Giovanni della Torre

Kolumnist Wirtschaft
Wirtschaftsberater und Weltreisender in einem. Ehemaliger Banker auf den Cayman Islands und Firmenbesitzer in Chur.