Von einem, der auszog, das Alleinsein zu lernen

Von einem, der auszog, das Alleinsein zu lernen

Jürg Oschwald war «der» Figaro in St. Moritz. Bis er eines Tages beschloss, ein ganz anderes Leben zu führen – und mit dem Boot das Mittelmeer entlang fuhr. Daraus wurde jetzt ein Buch.

Ein Leben ohne Termine, ohne Glamour? Ohne Parties mit den Reichen und Schönen; ohne TV-Stationen oder sonstigen Schnickschnack? Jürg Oschwald wollte es versuchen. Er hatte genug davon, dauernd Termine zu haben, eingespannt, und am Ende des Tages nur müde zu sein.

Es war nicht so, dass ihm sein Leben als Figaro von St. Moritz, wo die Reichen und Schönen manchmal gleichzeitig, aber nicht immer, bei ihm ein- und ausgingen, nicht gefallen hätte. Jürg Oschwald saugte dieses Leben auf. Immer mittendrin zu sein, das war sein Leben. «Ich war bekannt wie ein bunter Hund», sagt Jürg Oschwald über diese Lebensphase.

Ein ganzes halbes Jahr

Aber wie so oft, wenn Menschen etwas tun, das sie aus Leidenschaft tun, muss irgendwann die nächste Herausforderung her. Bei einem wie Jürg Oschwald sieht eine Herausforderung so aus: Man denkt daran, im Wohnwagen rund ums Mittelmeer zu fahren. Alleine mit Hund «Grisch». «Einmal habe ich einem Freund davon erzählt, dass ich mit dem Wohnwagen ums Mittelmeer fahre. Und plötzlich hörte sich das unglaublich langweilig an», sagt Jürg Oschwald.

Und was macht einer, dessen Idee vor seinem geistigen Auge plötzlich wie ein Biedermeierleben erscheint, das er nie wollte? Er sucht sich eine originellere Idee. So kam Jürg Oschwald auf das Boot. Aus dem Wohnwagen war ein Anhänger mit Boot geworden, sein neues Daheim für ein ganzes halbes Jahr. Weil Wohnwagen, das kann jeder.

So fuhr Jürg Oschwald von dannen, über den Pass nach Italien, Richtung Osten nach Kroatien, Serbien, bis Griechenland. Sein Boot, sein zweites Daheim, immer dabei. «Am meisten graute mir vor dem Zoll. Weil mein Boot so neu war, dachten die Beamten, ich wolle es nicht verzollen, aber irgendwo weiterverkaufen.» Einmal, in Bosnien, ist er deswegen kurz entschlossen umgekehrt.

«Die Haare der High Society»

Das Boot muss man sich bei einem wie Jürg Oschwald so vorstellen: Es war dabei. «Manchmal war ich sechs Wochen auf dem Meer, manchmal einen ganzen Monat nicht.» Aber immer hat er auf seinem Boot geschlafen. Ob zu Lande oder im Wasser.

Aber es kam, wie es kommen musste: «Ich bin unglaublich kontaktfreudig und habe natürlich sofort und überall neue Freunde gefunden», sagt Jürg Oschwald. Mit vielen von ihnen, Facebook sei dank, pflegt er heute noch Kontakt. Und, aber das verwundert auch keinen, auch sein Hund «Grisch» hat einen neuen Kameraden mit nach Hause genommen: «Whiskey». Ab und zu kam auch Besuch aus der Schweiz zu ihm. «Ich wollte schauen, ob ich das Alleinsein ertragen kann. Die Stille», sagt Jürg Oschwald. «Aber schlussendlich war ich gar nicht so oft allein.»

Aus dem Abenteuer «Mit dem Boot durchs Mittelmeer» ist, auch auf Anraten seiner Freunde, ein Buch geworden. «Leinen los», heisst es, «St. Moritz, das Meer und die Haare der High Society». Darin erzählt Jürg Oschwald von seiner Reise und seinem Leben in St. Moritz inmitten der Reichen und Schönen, das ihn, auch wenn er es gerne hätte, auch auf hoher See nicht loslässt.

Die Jacht von «Kuli»

Das Buch soll im Herbst erscheinen. Zur Finanzierung hat sein Verlag, der elfundzehn Verlag, ein Crowdfunding organisiert. Jürg Oschwald glaubt an die Unterstützung seiner Freunde: «Sie haben mich dazu überredet, ein Buch zu schreiben.»

Im Leben von Jürg Oschwald ist, im Moment zumindest, Ruhe eingekehrt. Er arbeitet als Lebenscoach, das sich hart an seinem Figaro-Beruf anlehnt. «Nur tiefer», sagt Jürg Oschwald. Sein Motorboot hat er wieder verkauft. Aber einem wie ihn steckt das nächste Abenteuer schon in den Knochen: 2021 will er vier Jahre um die Welt tuckern. Wenn alles klappt, in der Jacht, die einst Hans Joachim Kulenkampff gehörte. Drunter macht es einer wie Jürg Oschwald nicht.

Wer mitfinanzieren will: «Leinen los. St. Moritz, das Meer und die High Society».

(Bild: GRHeute)

 

 

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.