Ach, ihr armen Männer

Ach, ihr armen Männer

Beim ersten Frauenstreik am 14. Juni 1991 war ich 15 Jahre alt und in der zweiten Sek. Soweit ich mich erinnere, hatten wir den ganzen Tag geschlechtergetrennten Unterricht beziehungsweise einen Projekttag. Kann sein, dass mich meine Erinnerung täuscht, aber ich sehe uns in der Turnhalle mit der Turnlehrerin bei irgendwelchen Diskussionen sitzen. Mehr ist nicht geblieben – könnte sein, dass die aktuelle «Bravo Girl» in jenem Moment relevanter war als irgendwelche Gender-Diskussionen.

Aber. Wie hier schon einige Male erwähnt, bin ich in Appenzell Ausserrhoden gross geworden, und da war in jenen Jahren und eigentlich bis ich wegzog das Frauenthema immer ein Thema. Appenzell Ausserrhoden hat sich an der Landsgemeinde in Hundwil vom 30. April 1989 selbst für das Frauenstimmrecht entschieden; das mit dem Bundesgericht waren die Innerrhödler. Wobei: Es waren ja die Männer, die das entschieden haben. Die gnädig den Frauen das Recht erteilten, künftig auch in den Ring gehen und abstimmen zu dürfen. (Der Entscheid, man muss das erwähnen, war nicht ganz eindeutig, der Landammann hat dann einfach entschieden, dass es angenommen ist und auf eine Ausmarchung verzichtet.) Ich war also einige Jahre später live dabei, als die Kantonalbank an die UBS verkauft und damit der Grundstein für die spätere Karriere von Hans-Ruedi Merz gelegt wurde. (Hans-Ruedi Merz ist der  Ex-Bundesrat mit dem Bü-hü-hü-ündlerfleisch, um diesen Kreis auch zu schliessen.)

Es gab viele Frauen, die gegen das Frauenstimmrecht waren. Es handelte sich auch nicht um die erste Abstimmung zum Thema. Vier Mal hatten es die Männer vorher abgelehnt. Man muss sich das vorstellen: Hunderte Männer, viele in Tracht, die jedes Jahr am letzten Sonntag im April frühmorgens aufstanden und mit dem Säbel am Gurt in geraden Jahren nach Trogen, in ungeraden Jahren nach Hundwil pilgerten, das Landsgemeindelied sangen («Alles Leben strömt aus dir») und danach die Entscheide in der Beiz diskutierten.

Die Argumentation der Frauen war: «Wir haben schon im Haus das Sagen, wir brauchen es im Ring nicht» oder Variationen davon. Sie waren sich einig: Die Landsgemeinde gehört den Männern. Ihnen selbst genügte, ebenfalls in Tracht, aber ohne Säbel, die schiere Anwesenheit ausserhalb des Rings. Warum über den Kanton bestimmen, wenn der Hausstand schon in ihrer Gewalt ist und sie dort das alleinige Sagen haben?

Acht Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts wurde die Landsgemeinde an der Urne abgeschafft. Der Beschluss dazu war ein halbes Jahr davor ebenfalls in Hundwil gefasst worden. Einer der Hauptgründe für die Abschaffung war der Zerfall der Kantonalbank. Ein anderer, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand: die Einführung des Frauenstimmrechts. Es habe dem Ring das Feierliche genommen und sei mit den Frauen einfach nicht mehr dasselbe, wurde argumentiert. Man muss sich das vorstellen: Die Männer, in Tracht, mit Säbel am Gurt, durften nicht mehr alleine bestimmen. Sie haben recht getäubelet, das kann man glaub so sagen.

Es waren spannende Jahre, damals. Mit 24 habe ich Appenzell Aussserrhoden endgültig verlassen; auf Nimmerwiedersehen. Es war wunderschön da, aber ich kann es mir nicht vorstellen, jemals wieder dort zu wohnen. Was das Frauenthema angeht, muss ich auch gar nicht: Viele der Diskussionen, die heute in Graubünden geführt werden, erinnern mich frappant an das, was ich vor fast 20 Jahren hinter mir im Appenzell gelassen habe. Womit sich die Frage, ob ein Frauenstreiktag nötig ist oder nicht, für mich zumindest erübrigt hat. Wems wohl gfallt, der erhebe jetzt die Hand.

(Bild: GRHeute)

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.