Zum wahrscheinlich letzten Mal ist das Stück «Gott» von Ferdinand von Schirach aufgeführt worden. Es führt einem vor Augen, wie verschieden die Wege sind, mit dem Tod umzugehen – auch von Menschen, die freiwillig aus dem Leben scheiden wollen.
Frau Gärtner (gespielt von Heidi Maria Glössner) will sterben. Vor drei Jahren starb ihr Mann und mit ihm hat sie ihren eigenen Lebenswillen begraben. Ihre Augenärztin Frau Brandt (Rebecca Indermaur) soll ihr das tödliche Mittel Natrium-Pentobarbital verschreiben. Es ist dasselbe Mittel, das Sterbehilfe-Organisationen wie Exit ihren Kundinnen und Kunden übergeben. Doch Frau Brandt will das nicht machen: Schliesslich ist Frau Gärtner abgesehen von ein paar Alters-Zipperlein kerngesund.
So nimmt sich der Ethikrat – freiwillig – dieser Sache an: Bischof Thiel (Kurt Grünenfelder), Prof. Dr. Sperling vom FMH (Marco Luca Castelli), Dr. Keller (Niklaus Schmid) und Professor Litten (Vera Bommer) unter der Leitung der Vorsitzenden des Ethikrates (Tonja Maria Zindel). Für Frau Gärtner spricht ihr Rechtsanwalt, Herr Biegler (Manuel Herwig).
Die zentrale Frage: darf, muss, soll eine Ärztin oder ein Arzt den Todeswunsch einer Patientin unterstützen, wenn sie eigentlich gesund ist? Bischof Thiel argumentiert, dass das Leiden für Christen einfach dazu gehört. Die Missbräuche werden angesprochen, doch einer wie Bischof Thiel, auch wenn er bedauert, verliert sein teuflisches Grinsen nie. Er ist gegen die Sterbehilfe; auch wenn Rechtsanwalt Biegler die ganze katholische Bigotterie auf die Schlachtbank der leuchtenden Bühne im Titthof in Chur führt. Die Dialoge zwischen den zwei Männern: sackstark. Es ist eine Lektion in Kirchengeschichte, die zusammengefasst in, sagen wir, einer Viertelstunde, extrem unter die Haut geht.
Wem gehört das Leben?
Doch Biegler nimmt nicht nur den Bischof auseinander, er fühlt auch dem Vertreter des FMH, der Dachorganisation der Ärzte-Organisationen, auf den Zahn. Prof. Dr. Sperling beruft sich auf den hippokratischen Eid und dass Ärztinnen und Ärzte das Leben schützen. Biegler verweist auf die Diskussion um die Anti-Babypille, die mit praktisch ähnlichen Diskussionen geführt wurde, was Prof. Dr. Sperling aber nicht von seiner Meinung abbringt. Allerdings findet er, dass es viel mehr Hospize geben müsste, in denen todkranke Patientinnen und Patienten adäquat und würdevoll gepflegt werden könnten. Ihm praktisch zur Seite steht Dr. Keller, der diese Art der Sterbehilfe mit der Euthanasie im Zweiten Weltkrieg vergleicht.
Es ist einer von vielen starken Momenten des Stücks, als Frau Gärtner aufsteht und Professor Dr. Sperling die Leviten liest. Es gehe hier um Menschen, sagt sie. Und dass ihr egal sei, was er mit seiner Arroganz zu sagen habe. Sie wolle sterben, basta. Und sie hätte gerne, wenn ein Arzt ihr dabei helfen würde.
Darf ein Arzt Frau Gärtner das Natrium-Pentobarbital verschreiben? Am Schluss entscheidet das Publikum – das mit 60,5 zu 39,5 Prozent mit Ja antwortet. «Denken sie daran», hatte Frau Gärtner in ihrem Schlusswort gesagt: «die schönen Kleider, der Drink danach mit ihren Freunden – das ist nicht mehr mein Leben.»
Für den Zuschauer bleibt auch einen Tag danach nicht nur die Erinnerung an grossartige Schauspieler, die ein kontroverses Thema auf die Bühne gebracht haben, sondern auch die Erkenntnis, dass man sehr viel Wissen mitgenommen hat und es leider, leider wahrscheinlich keine weiteren Vorstellungen mehr gibt.
Die Veranstalter sind verpflichtet, die Resultate der Abstimmung dieser Vorführungen auf der Homepage zu verlinken. Die Resultate finden sich hier: gott.theater. Mehr Informationen über das Theaterstück in Graubünden: gott-theater.ch
(Bild: GRHeute)