Willkommenskultur am Ende?

Willkommenskultur am Ende?

Ein Kommentar von Franco Membrini, Edinburgh und Tyll Mylius, Berlin

 

Nicht alle Deutschen gehen gleich um mit der Herausforderung der Flüchtlingswelle. Auf der einen Seite die blauäugige Willkommenskultur, auf der anderen Seite rechte Proteste wie Pegida. Scheitert Deutschland an dieser Zerreissprobe?

Spätestens seit der Silvesternacht ist es klar: Die sogenannte Willkommenskultur, ursprünglich als Konzept für integrationswillige, qualifizierte Arbeitskräfte gedacht, kann nicht guten Gewissens auf die Massen der ankommenden Flüchtlinge angewendet werden. Da die Zahl der Migranten bereits solche Ausmasse angenommen hat, dass an der deutschen Grenze nicht einmal mehr eine Registrierung möglich ist, darf ohne Unterstellungen zu machen davon ausgegangen werden, dass unter diesen Tausenden von Menschen nicht nur integrationswillige Kriegsflüchtlinge zu finden sind.

Diese Tatsache zeigt sich nicht nur an den Kölner Übergriffen, sondern auch an der Bildung regelrechter Subgesellschaften im Umfeld der Asylanten. Die Politik der Kanzlerin hat massgeblich zu dieser Situation durch die «Einladung» an jegliche Migranten, nach Deutschland zu kommen, beigetragen. Die Einstellung Merkels «Wir schaffen das» führte nicht nur zu einem heillosen Asylchaos, sondern auch zum tiefsten Umfragewert der Kanzlerin seit Jahren (Grafik welt.de). Die Deutschen sind mit der Politik Merkels nicht mehr einverstanden und die Wählerflucht in koalitionsfremde Lager nimmt zu.

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So können sich immer mehr Menschen vorstellen, bei der nächsten Bundestagswahl  die rechtskonservative AfD (Alternative für Deutschland) zu wählen. Diese liegt nach aktuellen Umfragen bereits bei 12 Prozent1 und wäre somit die drittstärkste Partei in Deutschland. Die potentiellen Wähler der AfD sind nicht vorrangig rechte Fanatiker, die Flüchtlingsheime anzünden und zu Gewalt greifen, um ihre politischen Ziele zu erreichen (wie es gerne in manchen Medien dargestellt wird), es sind vielmehr Bürger, die mit der momentanen Politik in Deutschland nicht zufrieden sind – und das nicht nur im Bezug auf die Flüchtlingsfrage.  Eine ihrer Grundsatzforderungen ist, dass Politik in erster Linie für die eigenen Steuerzahler gemacht werden muss, die den Staat durch ihre Arbeit und Abgaben erst handlungsfähig machen. Aus dem Eintreiben von Steuern ergibt sich in letzter Konsequenz auch eine Verantwortung für den Staat, mit den Einnahmen im Sinne aller Bürger zu handeln, ehe sich Deutschland an der «Wir schaffen das»-Mentalität im finanziellen Sinn die Zähne ausbeisst.

Refugees

Trotzdem werden momentan in Deutschland Personen, die sich nicht komplett solidarisieren wollen und generelle Bedenken äussern, in die rechtsextreme Ecke verfrachtet und mit gewaltbereiten Extremisten in einen Topf geworfen. Dabei machen es sich Politik und Medien zu einfach, wenn sie andere Meinungen stigmatisieren und jedem potentiellen AfD-Wähler somit ein politisches Grundverständnis absprechen. Nur durch offene Dialoge mit Meinungsvertretern aller politischen Lager ist es möglich, Krisen wie diese zu meistern.

Eine Demokratie muss stark genug sein, auch unpopuläre Meinungen zu akzeptieren und zu tolerieren. Solange diese als verfassungskonform angesehen werden können, gilt es an ihnen zu wachsen, denn bei allen Diskussionen und Debatten sollte niemals in Vergessenheit geraten, dass die Meinungsfreiheit eine tragende Säule des Demokratieverständnisses  darstellt – diese darf unter keinen Umständen geopfert werden.

 

(Bilder: EQ Images/Screenshot)

author

Franco Membrini

Kolumnist
Hat an der University of Edinburgh seinen «Master of Science in History» absolviert. Zuvor studierte der Churer Geschichte, Betriebsökonomie und Staatsrecht an den Universitäten Bern und Bologna.