Ein Geschichtsbuch für die Generation TikTok

Ein Geschichtsbuch für die Generation TikTok

Der Kanton Graubünden hat seine Geschichte zwischen zwei Buchdeckel gepackt: Auf 220 Seiten erfährt man im «Atlas des Kantons Graubünden viel Wissenswertes über die letzten 500 Jahre im Kanton. 

Grossvaters Geschichtsbuch, das nach Mief riecht und in Sütterlinschrift geschrieben ist, mit Fussnoten, für die ganze Wälder sterben mussten: Es ist vorbei. Schwarzweisse Drucke von Originalstichen der Chlus, dem Kloster St. Maria aus dem 17. Jahrhundert: Es ist vorbei. Und nein: Das bedeutet nicht, dass es schlecht gewesen wäre. Aber Bücher sagen auch viel über die Zeit, in der sie entstanden sind. Und das ist 2024 halt eine andere als damals, als Grossvater noch in die Schule ging. 

Heute geht die Generation TikTok in die Schule, die sich kaum drei Minuten konzentrieren kann, und auch wenn es nicht gesagt wurde: Der «Atlas zur Geschichte Graubündens» scheint genau für sie gemacht. Mit viel Farbe, gut 300 Grafiken und interessanten Geschichten aus der 500-jährigen Geschichte des Kantons. Vier Jahre hat die Arbeit daran gedauert, wie an der Vernissage am Freitag im Theater Chur gesagt wurde. «Ein gewichtiges Werk», sagte Simon Teuscher, Professor am Historischen Seminar der Universität Zürich.

50 Themen werden im «Atlas» behandelt. Darunter: Herrschaft und Recht, Brauchtum und Sport, Verkehrsverbindungen und Naturgefahren – um nur einige zu nennen. Sexy tönt das nicht, aber eben: wir sind ja nicht in Opas Reader’s-Digest-Welt, sondern im Graubünden des 21. Jahrhunderts. Deshalb kann man darin auch Fakten herauslesen wie die Scheidungsrate, die ein Jahr nach der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 sprunghaft angestiegen ist, wie Cordula Seger, Leiterin des Instituts für Kulturforschung, sagte. Oder, wie Karin Fuchs, die Leiterin des Instituts für Kulturforschung, sagte: In Bergün gibt es eine überdurchschnittliche Zahl italienischsprechender Menschen. Warum wohl? Wegen des Bau des Albula-Tunnels. 

Zuerst kam die Grafik

Man kann das Buch in die Hand nehmen und durchblättern und findet immer wieder etwas, das man nicht wusste – oder etwas, das einen schon immer interessiert hat, in einer schönen Grafik dargestellt. Zum Beispiel die Entwicklung des Geldes seit dem 16. Jahrhundert, welche Währungen es gab und wer ein Prägerecht hatte. Die Zahl der Prozesse gegen Landesverbrechen, die genau Herkunft der Söldner der Gardekompanie von Johann Heinrich Anton von Salis-Zizers, die Steuereinschätzungen im Veltlin im 17. Jahrhundert und Orte mit dokumentierten Theateraufführungen von 1500 bis 1800. Dass man sich das gerne ansieht, liegt auch daran, dass die Grafiken im Buch stärker gewichtet wurden als alles andere: «Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt», sagte Cordula Seger. Man hat erst die Grafiken entworfen und dann die Textgrösse bestimmt. 

Alles in allem: Ein stimmiges Werk. Selbstverständlich für alle Altersklassen. Für Geschichtsinteressierte, aber auch für Schüler:innen und Student:innen, die darin viel Material für Vorträge und Arbeiten finden. Oder wie Bruno Meier vom Zürcher Verlag Hier und Jetzt, der das Buch herausgegeben, gesagt hat: «Es ist ein schweizweit einzigartiges Werk.» 

Der «Atlas zur Geschichte Graubündens» ist ab sofort in allen drei Kantonssprachen in Buchhandlungen erhältlich. 

(Bilder: zVg/Mattias Nutt. Das untere Bild zeigt die Autor:innen, die an diesem Werk mitgearbeitet haben. Für Farbtupfer sorgten auch die Mädchen und Buben der Stimmwerkbande. )

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.