Man sagt, man muss die Comfortzone verlassen, um das Glück zu finden. Und auch wenn das sehr weit hergeholt ist in Bezug auf die DigiDays, die dieser Tage am Theater in Chur statt finden, so kommt es dem Erlebten doch näher als zum Beispiel Eisbaden im Crestasee.
Am Dienstag habe ich das Glück zweimal so richtig gefunden und ein drittes Mal hatte ich sehr viel Spass. Einmal fand ich es in der Installation «Flintridge/Der Mensch erscheint im Holodeck». Vielleicht haben ein paar – ich nicht! – von Max Frisch das Buch «Der Mensch erscheint im Holozän» gelesen. Daran lehnt sich diese Installation, die von F. Wiesel in Kooperation mit dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt und dem Roxy Birsfelden produziert wurde, an. Man ist allein in einem Kubus. Das Mobiliar ist aus den 70er Jahren, besteht aus einem Uralt-Computer, einem schicken Sessel, einem Drucker und einem neumodigen 3D-Drucker. Die Macher nennen es «Text-Adventure».
Wie bei Max Frisch (Infos alle aus dem entsprechenden Wikipedia-Artikel) ist man allein in einer abgeschiedenen Hütte im Tessin, es unwettert – und dann? Am Computer kann man die Zettel, die Herr Geiser in der Einsamkeit geschrieben hat, mit entsprechenden Befehlen lesen. Ganz schön ist das Töckeln auf der Tastatur. Eine Zeitreise auch für die Sinne. Im zweiten Teil zieht man sich eine VR-Brille über – und der 3D-Drucker hat die Landschaft nachgedruckt. Die Berge stürzen ein, Eis macht sich breit, und darunter erstarren zwei Echsen. Es wird laut, die Musik klettert in die Höhe, das Eis wird wieder zu Wasser und am Schluss ist man so allein wie Herr Geiser im Tessin in seiner Hütte in Frischs Buch.
Man muss Max Frisch weder kennen noch mögen, um diese Installation zu sehen und erleben, und auch das Buch ist weder vorher noch nachher Pflichtlektüre. Unbedingt hingehen! Mehr Infos hier: Flintrigde/Der Mensch erscheint im Holodeck.
Das zweite VR-Abenteuer, in das ich mich gestürzt habe, ist die Installation «I AM» der Regisseurin Susanne Kennedy, die das Abenteuer zusammen mit Markus Selg und dem VR-Designer Rodrik Biersteker kreiert hat. «I AM» erinnert ein bisschen an das Voletarium im Europapark, nur dass man auf einer Art virtuellem Teller sitzt und alles gemächlicher zu und her geht. Man ist zuerst in einer japanischen Badehütte und später fliegt man auf dem Teller – langsam, langsam, man hat genug Zeit, sich alles anzusehen – durch futuristische Wüsten-Landschaften.
Am Besten gefiel mir die Zeit im Wald, aber die meiste Zeit sass ich eigentlich nur da und staunte darüber, wie man virtuelle Landschaften kreieren und damit ein Erlebnis schaffen kann, das ganz viele Bilder zurück lässt. Mehr soll hier nicht verraten werden. Es lohnt sich wirklich, hinzugehen, vor allem wenn man mit VR nicht so viel am Hut hat oder noch wenig Gelegenheiten hatte, sich in eine solche Welt zu begeben. Oder auch, wenn man sich dem ansonsten eher entzieht. Mehr Infos hier: I AM.
Der dritte Event war der Workshop «(un)friendly robots» von Andreas Muxel und Elias Naphausen der Hochschule Augsburg beziehungsweise dem HYBRID THINGS LAB. Mit dem Computer konnte man einem Roboter entsprechend der Gesichtszüge (lieb, fröhlich, hässig, neutral, etc.) Bewegungen auf dem Computer zuordnen. Ausladende Kreise für fröhlich zum Beispiel, ein Strich für neutral oder ein schnelles ZickZack für hässig. Damit der Roboter ein bisschen Unterstützung bekommt, durfte man basteln. Man stelle sich also knapp zehn Erwachsene vor, die an einem Dienstagmorgen im März Figuren basteln. Aus Styropor, aus Plastikbecher, aus Ballonen oder sonstigem Zeug, verziert mit Pfeifenputzern, goldenem Glitzerpapier, Kreppbändern, und, und und. Diese Figuren, zumeist an Stäben, und diese wiederum am Roboter, spielten dann die vom Gesicht über den Computer gesteuerte Bewegung nach. Das war sehr lustig und sehr interessant – und auch sehr kreativ. Mehr dazu gibt es hier: «(un)friendly robots».
Was auch interessant war: Die Doku «Regie: KI», in der ein Düsseldorfer Theater herausfinden will, ob künstliche Intelligenz Regie führen kann. Antwort: noch nicht, aber interessantes Experiment. Mehr dazu hier: Regie: KI.
Wegen technischer Probleme, an denen David Lynch, Special Agent Dale B. Cooper und Sheriff Harry S. Truman ihre helle Freude gehabt hätten, konnte ich «Twin Speaks» leider noch nicht schauen – ebenso erging es mir mit «Nessun Dorma». Beides wird nachgeholt!
Fazit: Theater einmal ganz anders. Die Angebote richten sich an Theatermüde, die schon alles gesehen haben, solche, die die Welt neu entdecken wollen und solche, die Spass an digitalen Experimenten haben. Ein Besuch lohnt sich aber auch für alle anderen, ich schwörs!
Das ganze Programm ist hier: DigiDays.
(Bilder: GRHeute. Das Titelbild ist der Uralt-Computer aus «Flintridge/Der Mensch erscheint im Holodeck»)