50 Prozent mehr Lohn gegen den Fachkräftemangel

50 Prozent mehr Lohn gegen den Fachkräftemangel

Dem Hotel Stern in Chur geht es wie vielen anderen Hotels in Graubünden, der Schweiz, ja fast auf der ganzen Welt: Die Personalsuche ist schwierig. Das Zauberwort für Adrian K. Müller: Mitarbeitermarketing. In seinem Fall 50 Prozent mehr Lohn für Sonntagsarbeit. 

Man muss neue Wege gehen, wenn man Mitarbeiter:innen sucht. Alte Strukturen aufbrechen, die Anstellungen neu erfinden. Das sind die Zeichen der Zeit, und so hat sie Adrian K. Müller vom Hotel Stern auch erkannt. «Fachkräftemangel ist fast ein Modewort», sagte er am Dienstag vor den Medien in Chur in seinem fast 350 Jahre alten Hotel am Rande der Altstadt. «Wir sind tagtäglich damit konfrontiert.» Hinzu komme, dass die Dienstleistungsbranche um den gleichen Charakter Mensch kämpfe: herzliche und sprachbegabte Mitarbeitende, die gerne mit den Gästen in Kontakt sind. 

Diese neuen Wege haben Adrian K. Müller zuerst zu den Grossen der Branche geführt. «Ich habe mir auch die Frage gestellt: Warum ist es selbstverständlich, dass wir am Sonntag offen haben, aber mein Treuhänder nicht und mein Sanitärler einen Zuschlag verlangt, wenn ich ihn am Sonntag brauche?», sagte der Hotelier. Das Restaurant am Sonntag zu schliessen, kam für ihn nicht in Frage. «Es gibt nichts traurigeres als ein Hotel mit einem geschlossenen Restaurant.»

Mehr Lohn, mehr Aufenthaltsraum

Des Rätsels Lösung: Mitarbeitermarketing. «Per sofort zahle ich allen Mitarbeitenden einen Sonntagszuschlag von 50 Prozent», sagte Adrian K. Müller. «Und was mir wirklich wichtig ist: wirklich allen. Vom Lerndenden bis zum Koch, vom Housekeeping bis zu den Herren an der Spüle.» Als weiteres Goodie bekommen die Angestellten einen neuen Aufenthaltsraum – besser eingerichtet und ruhiger als der bisherige. Bis der fertig ist – «ich warte noch auf die Baubewilligung – dürfte es November werden. Im Aufenthaltsraum gibt es eine kleine Küche, Handy-Ladestationen und einen Grossbildschirm. 

«Wir freuen uns sehr auf den Pausenraum», sagte Michèle Bandli, die seit 2016 den Posten für die Ausbildungsbetreuung inne hat. «Ich merke seit dem Lockdown, dass die Freizeit einen grösseren Stellenwert hat als der Lohn. Beim Lohn findet man sich schnell, bei den Arbeitszeiten muss man neue Wege finden.» So gibt es fast keine 100-Prozent-Anstellungen mehr, und das Hotel Stern hat damit nur positive Erfahrungen gemacht. 

Diese Teilzeit-Anstellungen sind auch eine Lösung anstelle der viel diskutierten Vier-Tage-Woche. «Wir haben es immer wieder angeschaut», sagte Adrian K. Müller. «Aber am Schluss kommen wir immer an dieselbe Schwelle: Erstens haben wir viel zuwenig Arbeit, um jemanden wirklich elf Stunden durchgehend zu beschäftigen. Zweitens müssten wir mehr Leute anstellen. Und diese Leute gibt es nicht.» Einzig in der Küche gäbe es dafür Spielraum. «Wir arbeiten vermehrt mit Teilzeit-Stellen. Wir haben Leute, die arbeiten nur am Freitagabend, andere am Donnerstagnachmittag und am Freitag.» Um nur ein Beispiel zu nennen. 

Minime Preiserhöhung

Die Lohnerhöhung kostet das Hotel Stern ungefähr sieben Prozent mehr im Jahr – wovon Adrian K. Müller den Löwenanteil über das Mitarbeiter-Marketing-Budget selbst bezahlt. Ein Teil wird auf die Gäste abgewälzt: Alles, das in der Küche gekocht wird, kostet am Sonntag ab sofort etwa drei Prozent mehr. 

«Viele verstehen nicht, dass die Mitarbeitenden die gleiche Bedeutung haben wie die Gäste», sagte Ernst «Aschi» Wyrsch, Präsident von Hotellerie Suisse Graubünden, der die Idee unterstützt. «Ich habe mir überlegt, wie der Rest der Branche reagiert. Ich bin zum Schluss gekommen, dass die Reaktionen zu 50 Prozent positiv sind und die andere Hälfte schaut zuerst mal zu.» Er persönlich sei sehr für Eigeninitiative. «Ich bin mir sicher, dass das Hotel Stern das bei der Rekrutierung positiv spüren wird.» 

(Bilder: GRHeute/Alessio Rosano)

 

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.