An der Delegiertenversammlung des Gewerbeverbandes in Vicosoprano durften zwei Herren unwidersprochen in ihren Steckbriefen als Hobby «Familie» schreiben. Familie als Hobby. Lassen wir uns das 2021 auf der Zunge zergehen: Familie als Hobby.

Ebenfalls unwidersprochen blieb die Aussage eines CVP-Mitglieds, der an der Veranstaltung zur 50-Jahr-Feier des Frauenstimmrechts sagen durfte: Meine Frau arbeitet nicht. Lassen wir uns das 2021 auf der Zunge zergehen: Meine Frau arbeitet nicht.

Am 13. September gab die SVP bekannt, mit dem Trimmiser Dorfpräsidenten Roman Hug ins Rennen um einen Regierungsratssitz zu steigen. Von Valérie Favre Accola, die vor vier Jahren gesagt hatte, es wäre zu früh, war keine Rede. Kein einziges Wort zu der Frau, die sich der innerparteilichen Ochsentour seit Jahren stellt.

Am 6. Oktober wählte die Delegiertenversammlung der FDP Martin Bühler als ihren Kandidaten für den Regierungsrat. Er wurde aus einem Quartett gewählt, das sich innerparteilich für die Nachfolge von Christian Rathgeb interessiert hatte. Neben «Mister Corona» Martin Bühler waren dies die Churer Grossrätin Vera Stiffler, ihr Bergeller Ratskollege Maurizio Michael und der Churer Stadtpräsident Urs Marti.

Nun kann man sich fragen: Wer wusste schon vor dieser Kandidatur, dass Martin Bühler in der FDP ist? Er stieg praktisch wie Phönix aus der Asche. Man kann sich ebenfalls fragen: War Maurizo Michael der Quoten-Italienischbündner? Und man kann sich dazu fragen: Urs Marti wäre bei einer Wahl ein Jahr vor dem Ablauf seines Stadtpräsidentenamt in das nächste Amt getragen worden. Ist das 2021 noch Usus?

Sie alle standen Vera Stiffler vor der Sonne.

Wie Valérie Favre Accola ist sie seit Jahren in der Politik präsent. CVP-Mitglied Carmelia Maissen sagte an derselben 50-Jahr-Feier fürs Frauenstimmrecht sinngemäss: Wir haben so viele Quoten. Quoten für Italienischbüdner, für Oberländer, für Bauern, für Advokaten. Nur wenn man von der Frauenquote spricht, wird es zu einem Problem.

An der DV der FDP war es aber zu allererst ein strukturelles Problem. Vier Jahre, nachdem der Aufschrei einer rein männlichen Regierung riesig war, war der Anteil der Frauen im Publikum verschwindend klein. Man kann sagen: Praktisch inexistent. Jedenfalls im Vergleich mit all den Frauen, die sich vor vier Jahren entsetzt über eine rein männliche Regierung äusserten.

Auch die abwesenden Frauen haben Vera Stiffler verhindert.

Dieses Signal ist auch für die FDP fatal. Es heisst nämlich: Frauen, die sich engagieren, bekommen von anwesenden weissen Männern keine Mehrheit. Es heisst auch: Die FDP besteht eigentlich fast nur aus alten weissen Männern.

Wäre Vera Stiffler gewählt worden, wäre das Signal: Wir unterstützen Frauen. Junge Frauen, die mitten im Leben stehen. Die sich der Ochsentour stellen. Und weil uns eine Frau in der Regierung wichtig ist.

Damit ist kumuliert vor allem klar: Es ist noch unglaublich viel zu tun.

Solange Männer als Hobby Familie schreiben dürfen und von ihrer Frau sagen, dass ihre unbezahlte Care-Arbeit (so nennt man das 2021!) keine Arbeit ist, solange werden Männer den Frauen vor der Sonne stehen. Und für alle ist das total ok.

Lassen wir uns das 2021 auf der Zunge zergehen.

(Bild: GRHeute)

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.