Die Kirchgasse 12 in Chur war die Heimat von Johannes Comander. Die Heimat der Reformatoren. Ganz nach Zürcher Vorbild war der oberste Pfarrer der Antistes und sein Heim das Antistidium. Zum 500-Jahr-Jubiläum wurde das Haus sanft restauriert – und mit einem Buch dokumentiert.
Hinter der Martinskirche in Chur, noch unter der Klibühni, ist ein Haus mit Antistidium angeschrieben. Ein erster Bau entstand schon im 12./13. Jahrhundert, wie die Archäologin Yolanda Sereina Alther sagte. Als 1464 die ganze Stadt brannte, blieb das Haus an der Kirchgasse 12 praktisch unversehrt. Der Abt von Disentis, Johannes Scharegg, kauft das und das Nebengebäude und baut es zum heutigen Antistitium um.
«Ich freue mich riesig», sagte Curdin Mark, Präsident der Reformierten Kirche Chur, am Donnerstag vor der Festgesellschaft im Antistidium. Er darf nicht nur das sanft renovierte Gebäude präsentieren, sondern auch das Buch dazu – «500 Jahre Antistitium» – vorstellen. Das Buch zeigt die Geschichte des Hauses und damit auch ein Teil der Geschichte des Reformators Johannes Comander, dessen 500-Jahre-Jubiläum die Reformierte Kirchgemeinde Chur heuer begeht.
Die fromme Nabelschau beiseite legen
Was ein Antistitium ist, weiss Buchautor Jan-Andrea Bernhard auch erst seit 30 Jahren – allerdings aus Zürcher Sicht. «Ich weiss erst seit 20 Jahren, dass es das auch in Chur gibt», sagte der Theologie-Professor. «Ich habe bei diesem Buch sehr viel gelernt, das ist ein grosses Geschenk für mich.» Man müsse die fromme Nabelschau beiseite legen und sich an die Quellen halten.
«Das Antistitium war seit 550 Jahren ein Ort der Einkehr», sagte Jan-Andrea Bernhard. Die Besucherliste, gäbe es ein Gästebuch, liest sich wie das «Who is who»: Reformator-Vater Martin Luther, ein Ungar, der auf einer venezianischen Galeere sieben Jahre in Gefangenschaft war und in Chur eine neue Heimat fand. Der Gelehrte Conrad Gessner oder auch Albert Schweitzer, der in eher jüngerer Zeit gleich zweimal zu Gast an der Kirchgasse 12 war. Er sei, sagte Jan-Andrea Bernhard, bei der Arbeit am Buch immer wieder erheitert und ernüchtert gewesen.
Zwei Wohnungen im Antistitium sind seit Anfang Jahr vermietet. Im ersten und zweiten Stock gibt es zwei Räume, die im Rahmen von Stadtführungen besichtigt werden können: Die Hasenstube und die Gotische Stube. «Es war schnell klar, dass wir kein klassisches Museum machen», sagte Curdin Mark. «Unter anderem auch deshalb, weil die Reformierte Kirche gar nicht genug Ausstellungsstücke hat.» So wurde beschlossen, die Räume in Szene zu setzen.
Hasen und Jäger
Und wie sie das tun! Die Hasenstube im ersten Obergeschoss hat an seiner Westseite eine Wandmalerei, die dem Raum seinen Namen gab: «Verkehrte Welt» heisst es und zeigt den «Triumphzug der Hasen» über die Jäger und seine Hunde. Jeder der Hasen, so erklärt Kunsthistoriker Marc Antoni Nay, repräsentiert eine Truppengattung im 16. Jahrhundert. Der Verputz an der Südwand ist mit drei Darstellungen der Liebe bemalt. Die Malereien wurden erst bei der Sanierung entdeckt; die Hasen sind eine «Kopie» eines ähnlichen Werkes aus Nürnberg.
Noch ein Stockwerk weiter oben befindet sich die Gotische Stube. Es ist der wichtigste Raum im Haus, stammt ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert und ist ein Vorläufer der heutigen Arvenstube. Der Raum ist vollständig in Holz gekleidet; die Balken sind in gotischer Form verarbeitet. Auf der Südseite sind zwei grosse Butzenfenster. Rechts des Eingangs, wo früher der Kamin stand, wurden ebenfalls Wandmalereien gefunden. Sie sind aber so alt und «kaputt», dass man nicht mehr richtig feststellen kann, was und wann sie gemalt wurden.
«Alt und muffig», heisst es in den Tonbändern, in denen aus denen von vorgestern bis gestern Zeitdokumente vorgelesen, die vom Leben in diesen Gemäuern berichten. Oder wie es im Nachwort des Buches heisst: «Reformierte Kirchen sind keine Heiligtümer, Antistitien noch weniger. Beide erfahren ihren Wert nachdem, was an Heilsamen in ihnen geschieht.»
Alles über das Comander-Jahr: comander2023.ch.
(Bilder: zVg)