«Wir sind hier, weil wir hässig sind!»

«Wir sind hier, weil wir hässig sind!»

Über 200 Frauen und Männer haben am Freitagabend vor dem Grossratsgebäude gegen sexualisierte Gewalt demonstriert. Ihre Hauptbotschaft: «Nein heisst nein – nur ja heisst ja.»

Vor einer Woche wurde vor dem Regionalgericht der Fall des angeklagten ehemaligen Verwaltungsrichters verhandelt, der eine Juristin vergewaltigt haben soll, die beim Verwaltungsgericht ein Praktikum gemacht hatte. Für Aufsehen gesorgt hatte der Fall auch deshalb, weil ein Richter während des Prozesses zur Frau gesagt hat, sie sähe ja nicht unkräftig aus – ob sie die Beine nicht fester hätte zusammenpressen können. 

Zur gleiche Zeit fand übrigens in Frankreich der Prozess gegen den Mann von Gisele Pelicot statt. Ihr Mann hatte sie betäubt und Männer rekrutiert, die sie im Schlaf vergewaltigten. «Die Scham muss die Seite wechseln», hatte Gisele Pelicot gesagt und es klingt wie eine Vision für die Zukunft, wenn man sich vor Augen führt, was die Juristin des Verwaltungsgerichts erlebt hat. 

Urteil kommt nächste Woche

Das Graubünden vom 8. November 2024 scheint davon noch weit entfernt. Die Frauen und Männer stellen sich auf den Aufgang zum Grossratssaal und bilden die Worte: «Uns fehlen die Worte.» Die grosse Zahl der Frauen sei ein Zeichen, dass noch ein weiter Weg sei. Aber es sei auch ein Zeichen, dass man zusammen halten könne. «Wir sind hier, weil wir hässig sind!», sagte eine Frau vom Feministischen Kollektiv, das zur Demo aufgerufen hatte. «Wir sind hässig auf ein System, das Täter schützt.» Man müsse sich für eine Struktur und einen Systemwandel einsetzen. «Ein System, in dem heute jede zweite Frau angegrabscht wird.»

«Uns fehlen die Worte», sagen die Buchstaben, die den Weg ins Grossratsgebäude säumen. Eine Schweigeminute unterstrich die Wirkung ebendieser – bevor die Anwesenden kollektiv skandierten: «Nein heisst nein – nur ja heisst ja.» Sie habe, sagte eine Frau, die Schnauze voll. «Wir schweigen, weil wir nicht wissen, ob wir sterben müssen, wenn wir uns wehren.»

Das Urteil gegen den ehemaligen Verwaltungsrichter wird nächste Woche erwartet. 

(Bilder: GRHeute)

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.